VON FRIEDRICH RIEDLIN AUS FRIEDRICHSHAFEN

lfndenr: 
536
28. Mai 1868

Hochgeehrtester Freund!

Vor allem sage ich Ihnen meinen aufrichtigsten Dank, für Ihre Mühe u. Zeitverlust, welche Ihnen die Durchsicht meiner Schriften verursachte, sowie für Ihr offenes Urtheil, das bedeutend besser ausgefallen war, als ich erwartet hatte.

Ihre freundliche Einladung nach Lindau war mir herzlich willkom­men, indem dadurch mein längst gehegter Wunsch sich endlich zu erfüllen scheint. Obwohl derzeit in bedrängter finanzieller Lage, in Folge stattgehabten Wochenbettes meiner Frau, Anschaffung eini­ger höchst notwendiger Kleidungsstücke u.s.w., werde ich den noch die Gelegenheit nicht versäumen, um einmal persönlich mit Ihnen zusammen zu kommen.

Es gibt eben so viele Fragen u. Erörterungen, die im schriftlichen Wege nie gründlich beantwortet werden können. Mit diesem ersuche ich Ihnen daher höflichst, mir dann seiner Zeit zu berichten,:

an welchem Tage ich in Lindau eintreffen, u. wo ich Ihnen finden soll? Benütze ich die indirekte Fahrt über Rorschach, so habe ich 9 Std. Aufenthaltszeit in Lindau, nehmlich von Morgens 9 Uhr bis Abends 6 Uhr. Grund meines Nichterscheinens, wäre höchsten­falls: stürmische Witterung, Krankheitsfall oder ein Werktag, an welchem ich schwerlich Urlaub erhalten würde. Sonn- und Feier­tage (Pfingstmontag, Frohnleichmanstag, Peter u. Paul) habe ich frei u. stehe zu Ihren Diensten.

Am  lezten Sonntag las ich zum  Erstenmal  im „Schwäbischen Merkur" von der Arbeiterbewegung in Wien, werde Ihnen aber meine Ansichten darüber mündlich mittheilen. Daß Sie mir Ihre „Sonderlinge" mitbringen, freut mich sehr, da ich mich ungemein für Ihre Geistesprodukte intressire. In der angenehmen Hoffnung, Ihnen bald gegenüber zu stehen, grüßt Ihnen freundlichst

Ihr aufrichtiger Verehrer

Fr. Riedlin

Schlosser

Kgl. Eisenbahnwerkstätte

Friedrichshafen.

Keine