FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
117
1. April 1864

Geliebter Freund!

Mein letztes Briefchen samt Beilagen wirst Du hoffentlich durch Herrn Bopp erhalten haben. In Deinem vorletzten Schreiben prophezeitest Du: Auf Eorgotag werde es wohl wieder großartig zu- und hergehen -, und Du hast es erraten. Ich saß nicht mehr bei der Isabell, um ihren Jammer und ihre Not zu hören wie vor einem Jahr; nein diesmal ließ man Dich völlig in Ruhe, aber einem armen Poetlein war's bald passiert, daß es sich selbst ein Trauerspiel, den anderen aber ein Lustspiel nicht aufgeführt, aber mitgespielt hätte. Doch ich will der Erzählung nicht den Kopf nehmen! Lasset uns ruhig den Knoten schürzen und dann sehen, ob und wie sich das Wichtlein mit seinem bißchen Witz wieder heraushelfen wird.

Das Volksfest. Eine Dorfgeschichte.

1.  Kapitel

Am 24. April 1864 wanderte nach der Zeit des Kaffees ein mageres Männchen nach Au. Stolz richtete es das Köpflein auf, so daß sich leicht vermuten ließ, es sei eines jener glücklichen Wesen, die noch ohne Herzklopfen von den hohen Heupreisen erzählen hören.

Särvis Schwaugar! witt zum Doktar ga Eorgo haulto?, wurde der auf dem Wege Forteilende gefragt, der sich aber kaum zu einer Antwort Zeit nahm und den Fragenden zum Mit­gehen einlud, vermutlich weil ihm das das einzige Mittel zu sein schien, nicht zu lange aufgehalten zu werden.

2.  Kapitel

So grüß Gott Felder, und Gott Lob und Dank, daß Du kommst, geh nur in die Stube, Du wirst Durst haben? So rief dem Ankommenden die kluge verständige Hausfrau des Rößlewirts entgegen. Dieser aber (der als Schoppernauer mehr Neugierde als Durst hatte) tat den Mund auf und sprach die fragenden Worte: „Ist er daheim?"

Nei - jabo nüd, hieß es, und Nei - jabo nüd hieß es wieder, als der Schoppernauer fragte, ob er, nämlich der Doktor, heut einen guten Humor habe. Man hätte gestern kommen sollen, gestern war der Vorabend seines Namensfestes gsin, sagte Isabell. Der Schoppernauer aber sprach, am Samstag bleibt ein guter Christ daheim und ein Glückswunsch kommt auch heute noch recht. Sein Begleiter aber, der seines Zeichens ein Schneider, ging ihm schweigend in die Stube nach.

3.Kapitel

Franzmichel soll auf den Tanzplatz kommen. Franzmichel ging hinauf.

Da standen, wartend der Dinge,

Die kommen sollten im Ringe

Die Musikanten - von Blech.

Schon Monate mußten sie leiern,

Sankt Eorgotag würdig zu feiern.

Sich ledig zu blasen der - Zech!

Wißt Ihr, wo er ist, fragte der Schoppernauer. Nei-jabo nüd, hieß es, und einige fragten zurück: Hast wieder etwas Lustiges? Nichts Wichtiges. Nun wurde das Programm ent­worfen und öffentlich bekannt gemacht. Alles, Felder an der Spitze, wollte zu Eorgo Wohnung, dann sollte er zuerst die Rede halten, worauf die Blasinstrumentenmusikanten, acht Mann, das ihre zu tun versprachen.

4.Kapitel

Die im Tanzsaal Befindlichen wurden gerufen und purzelten mehr als sie gingen.

Ischt ar itz dau?

Nei-jabo nüd!

Warum ruft man aber?, fragte das Poetlein mit einer Stimme, die man einem solchen Männlein nicht zugemutet hätte. Er ist daheim, sagte die Wirtin, und Isabell ist zu ihm und will ihm sagen, er solle kommen, man wolle ihm gratu­lieren! - Es gab Leute, die über diese Rede lachen mußten:

Man kam in frohem Übermut

Bei Doktors Wohnung an,

Die Musikanten stimmten gut,

Und Felder schritt voran. Ist die Türe offen? Nei-jabo nüd.

5.  Kapitel

Wer am besagten 24. April im Schöpf beim Doktor gewesen, der wird sich auch vorstellen können, wie es möglich war, daß einst Jerichos Mauern zusammenstürzten. Die Fenster zitterten, alles, was sich bewegen konnte, bewegte sich, und wenn der Doktor daheim war, oder nur eine halbe Stunde weit fort, so wird er sich nicht damit entschuldigen können, daß er es nicht gehört habe. Es kamen Kinder, weiße und rote, es kamen Weiber, alte und junge, aber Eorg kam nicht, unverrichteter Sache mußte man zurück, und das Poetlein, welches voran herstolziert war, folgte in wehmütige Erinne­rungen versunken dem Zug.

6.  Kapitel

Mit selbstbezahlten Bieren

Stillt Felder seinen Durst,

Verbeißt dabei den Ärger

An einer dürren Wurst.

Und wo ist wohl der kalte nüchterne Philosoph, der es ihm verargen würde, wenn sein Ärger größer wäre als - die Wurst. Schön auf himmelblaues Papier geschrieben, staken seine frommen Wünsche und Hoffnungen in der Rocktasche, von niemand noch gesehen, von niemand gehört. Das war noch nie dagewesen. Jetzt galt es, sich zu retten, zu zeigen, daß man nicht von so einem Eorgo abhängig sei. Große Gedanken dämmerten in des Poetleins Seele, all die Geister seiner großen Vorfahren rief es um Hilfe an, und da stand auf einmal Shakespeare vor ihm. Der nämlich, dessen 300jähriges Ge­burtsfest an diesem Tage in ganz Europa gefeiert wurde, jetzt richtete sich das Männlein auf und sprach von dem großen Dichter, zeigte dessen Bildnis und redete davon, wie schön es wäre, diesen Abend sein Geburtsfest zu feiern. Und siehe da: Alles war einverstanden. Eilig gingen die Burschen den Wäldern zu und holten Tannenreiser, um zwischen Argenau und Argenzipfel ein Festfeuer anzuzünden. Jetzt hieß es nicht mehr: Nei-jabo nüd, sondern immer: Vorstaut si!

7. Kapitel

Um 9 Uhr wurden die Fackeln angezündet, und unter Beglei­tung der feierlichsten Musik bewegte sich der Festzug, zuerst Greußing und Comp., dann die Fackel- und Kerzenträger, dann das Volk. Auf dem Festplatz angekommen, sang man: „Wir haben gebauet", und zündete das Festfeuer an, das bald hoch aufloderte und in Schoppernau und Au gesehen war, so daß sich eine große Menge Nachtbuben hier versammelte und die Rede mit anhörte, die vom Poetlein gehalten wurde. Leider kann hier nicht wiedergegeben werden, was in der Stunde der Weihe gesprochen wurde. Um 10 Uhr kehrte der Zug zum Rößle zurück und um 12 Uhr endete das Fest. Hie und da hörte man sagen: Gottlob, daß der Doktor nicht kam. Das Poetlein ging glücklich und zufrieden heim. So entstehen Volksfeste! Was werden die Schwarzen dazu sagen! Es wäre zu wetten, ein Norddeutscher hätte Respekt vor der Wälderbildung gekriegt, hätte wohl gar der staunen­den Welt in der Zeitung davon erzählt. Das Poetlein aber hat dabei seine eigenen Gedanken und beeilt sich, seinem Freunde die Geschichte mitzuteilen.

Am 28. April [1864]

Am letzten Sonntage redete man auch von Deiner Entgegnung auf Vonbuns Kritik, und der Kurat in Rehmen fand dieselbe etwas zu stark. Er habe die Vonbunsche Besprechung für gutgemeint und lobend gehalten und begreife nicht, wie Du so gegen ihn habest zu Felde ziehen können, sagte er. Nun, die Geschmäcker sind verschieden. Ich würde die Stelle: „Herr Felder ist ein Gesunder", nicht geschrieben haben. Sie mag zum Teil in der von Dir gebrauchten Anwendung richtig sein, aber- aber?! -

Sehr begierig bin ich, wie Deine „Schreibereien" in Lindau aufgenommen werden, und hoffe, von Dir bald etwas zu erfahren. Der Pfarrer Kohler im Lech hat seine ,Reise nach Rom' beschrieben, und wird dieselbe nächstens bei Stettner erscheinen. Wenn Du den Mann kennst, wirst Dir das Büch­lein anschaffen. Es soll ganz eigentümlich geschrieben sein. Hermann Schmid ist in München Redakteur des seit Neujahr erscheinenden ‚Heimgarten' (belletristische Wochenschrift), den ich sehr gern lese. Hie und da erscheint auch eine Arbeit von ihm, z. B. Der Schütz Fo. 1-6, sein Almenrausch und Edelweiß in der Gartenlaube 63 wirst Du gelesen haben. Der Heimgarten ist entschieden besser als das Familienjournal. Die Holzschnitte sind oft prachtvoll und übertreffen sogar die der Gartenlaube. Ich lese jetzt die kleinen Klassiker, die ich in diesem Winter antiquarisch anschaffte, und kann Dir daher mit den bessern alten und neuen Dichtern aushelfen. Für mich waren diese Bücher fast so notwendig als ein ­Konversations-Lexikon, nach dem ich mich schon lange sehnte. Ich habe nun die 11. Auflage des Brockhausischen bestellt, das in Wochenlieferungen erscheint und bis 1869 vollständig wird. Du brauchst Dir also kein ähnliches Werk anzuschaffen, denn ich zweifle nicht, daß mein Brockhaus Dir gute Dienste tun wird. Es ist wirklich staunenswert, was da alles zu finden ist, und ich gab etwas, wenn ich ihn schon vor zehn Jahren gehabt hätte.

Deine Schwester Barbara ist von einem Mädchen glücklich entbunden worden, und hat dasselbe in der Taufe den Namen Margareth erhalten. Ich erlaube mir auch, Dir jetzt schon zu Deiner Vaterschaft meinen herzlichsten Glücks­wunsch zu bringen.

In Schnepfau ist letzthin ein etwa 80jähriges Weib gestorben, das noch in den letzten Jahren seine Schalkjuppe am Sonntag trug, also etwa 62 Jahre die gleiche Juppe! Das wäre etwas fürs Antiquariat! Soeben habe ich in der Augsburger Allge­meinen Zeitung Fo. 105-106, Beilage, eine Besprechung der Auerbachschen Schriften gelesen, in welcher die Frage: Was und wer ist naiv, beantwortet wird. Ich hatte Lust, Dir mehr über diesen Artikel zu schreiben, aber sicher hast Du ihn schon lange gelesen. In demselben wird behauptet: Kein Dorfbewohner kann eine Dorfgeschichte schreiben. Das soll wohl heißen, man soll objektiv schreiben, soll nicht bei der oder jener Partei stehen wie J. Gotthelf, denn daß die Dorf­luft dem Schriftsteller schädlich sei, kann ich nicht begreifen, obwohl ich recht gern eingestehe, daß einem alles Lesen das noch nicht ersetzt, was man Welterfahrung nennt. Es muß eben am Holz sein, wenn's spalten soll, glaube ich, meine dabei aber durchaus nicht, daß etwa ich ein so spältiges Holz sei. Den Allioli wirst Du im Sommer bei mir finden und ich werde Dir dann mitteilen, warum ich Dir so lange nichts darüber mitteilte. Meine Bibliothek hat sich bedeutend ver­mehrt und ich studiere jetzt bei weitem mehr als ich schreibe, denn ich fühle immer mehr, wie viel mir noch mangelt, um nur ein ordentlicher, geschweige denn ein außerordentlicher Mensch zu werden.

Thümmel sagt: Unsere verwahrlosten Felder, unsere magern Kinder, unsere schlechten Schuhe wollen nicht beschrieben, gemalt und besungen sein, sondern die müssen gedüngt, ernährt und geflickt werden, wenn der gemeine Mann vor­wärts will. Das andere ist eigentlich Sache derjenigen, die an der runden Tafel sitzen. Hat unsereiner eine freie Stunde, so nascht er lieber von dem, was da ist, als daß er Zucker­bäcker wird; so denke ich jetzt, wenn ich hundsmüde von der Feldarbeit heimkomme. Ich habe jetzt mehr Genuß von den Büchern als früher, denn ich will nicht mehr alles auf einmal. Vielleicht bist Du später so gut, mir den Lassalle zu geben, jetzt habe ich wenig Zeit und noch vieles liegt unauf­geschnitten, das eigentlich gelesen sein sollte, doch es geht nicht mehr so schnell als früher, wobei ich aber nur gewinne. Das Nämliche gilt auch von meinen Schreibereien. Ich habe diesen Winter fast nichts getan, als einige hundert Blätter für Bergmann geschrieben und das am Freimaurer Zusammenge­sudelte wieder umgearbeitet. Das Ganze war wirklich zu formlos, und da ich nicht hoffe, daß meine Schriften je das Lobenswerte der J. Gotthelfschen haben werden, so möchte ich auch, so viel als möglich, seine Fehler vermeiden. Es fällt mir immer wieder etwas ein, das ich Dir mitteilen möchte, und mein Brief wird dabei, da ich täglich nur ein paar Zeilen zu schreiben komme, ein merkwürdiger Durcheinander wer­den. Von den neuen Wahlen habe ich hier noch nichts gehört. In Au wird es diesmal vermutlich friedlicher, im konservativen Schoppernau etwas stürmischer zugehen als das letzte Mal ­ausgenommen, wenn man mündlich wählt und der - Pfarrer dabei ist. Jedenfalls wird aus Deiner Vermutung, daß ein Poet u.s.w., nichts werden als eine Enttäuschung, denn bei den Dicken bin ich in Ungnade gefallen und die Kleinen werden mich liegen lassen, wo ich liege und wo mir - im Vertrauen gesagt - am wohlsten ist.

Es gibt jetzt auch in Schoppernau zwei Parteien, aber mit Heine kann man ausrufen:

Ich schaute rechts, ich schaute links,

Es stank auf beiden Seiten.

Kurz, am wohlsten ist einem, wenn man unbeachtet und unbeneidet daheim lebt und für die lieben Seinen Erdäpfel pflanzt und Kälber aufzieht zu Kühen. Hat man Lust und Lieb zum Ding, so mag man nebenbei treiben und schreiben, was man will, aber wohl dem, der nichts dabei sucht, als seine Unterhaltung und Bildung. Das Wirken fürs gemeine Wohl ist nicht jedermanns Ding, und ich glaube, keiner sollte anfangen, bis er alt und kalt genug ist, um ruhig Stank für Dank hinnehmen zu können. Mich hat die letzten Jahre manch' rauher Wind angeweht, und ich darf sagen, ich habe mich im ganzen noch nicht verkühlt, leide noch nicht am Schnupfen der Selbstsucht, denn ich meine, wenn man von den Leuten Anerkennung und Dank will, muß man tun, was sie, nicht was unsereiner für gut hält. Die Bauern sind am rohsten, wenn sie in Masse beisammen sind, weil da nur die Leidenschaftlichkeit zum Wort kommt. Nimmst Du aber Teil an Freud und Leid des Einzelnen, so weht es dich an wie ein göttlicher Hauch. „Ich will nicht der Mann aller, sondern der Freund der Besseren werden."

Was macht Deine Therese? Wir alle lassen sie recht herzlich grüßen. Herr Stettner hat mich benachrichtigt, daß er mich im Sommer einmal besuchen werde. Mein Nümmamüller scheint in Norddeutschland mehr Glück zu machen als im Süden, wie ich Dir schon mitgeteilt habe. Von Joh. Josef Felder habe ich Nachricht, er ist noch in Bordeaux. Jochum ist noch hier und wartet auf seine Schriften, um die er schon längst nach Wien schrieb. Über das Viehsalz möchte ich Dir einen Artikel in den Deutschen Blättern empfehlen. Der L. Z. könnte man antworten: Im Nenn [?] bei Schoppernau wurde 1862 das Vieh mit [k. k. ?] Viehsalz gefüttert und im selben Jahr starben 11 Rinder am Durchfall, was sonst in 15 Jahren nicht vorgekommen war. (So sagt der Hirt.) Lebe wohl und schreibe bald wieder Deinem Freund

Franz M. Felder.

Keine