FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
74
10. März 1863

 

Geliebter Freund!

Ohne noch länger auf eine Antwort auf meinen letzten Durcheinander vom 6. Jänner zu warten, schreibe ich Dir wieder, nicht etwa um Dir einen Haufen Neuigkeiten mitzuteilen, sondern nur um so ein Viertelstündchen zu plaudern, wozu ich mich gerade heute besonders aufgelegt fühle. Weder das Zahnweh noch sonst einer der unzähligen Wehtage, von denen die Menschheit drangsaliert wird, raubt mir den guten Humor, denn ich bin, Dank dem Himmel, gesund und mager, wie gewöhnlich. Meine Nachbarn, die Schoppernauer, sind gerade jetzt mit Husten, Bauchweh und dergleichen geplagt, und es ist ein halbes Wunder, daß mich einmal ein Übergang übergangen hat. Die Feldarbeit für den Winter ist getan und ich sitze meistens daheim in meinem Zimmer beim Schreiben oder Lesen. Nur am letzten Freitag ging ich, da ich seit Neujahr nie mehr in der Au war, nach Rehmen zur dritter Josefsandacht. Da ich alles, was ich Dir aus der Au mitzuteilen weiß, an diesem Tage erfuhr, so werde ich Dir jetzt meine Wallfahrt genau beschreiben.

Das Wetter war herrlich, der Frühling hatte bereits die muntern Waldessänger aus ihren Nestern geschickt, um der Welt sein Nahen zu verkünden, und kurz, alles war so schön und lieblich, als man es Anfang März nur wünschen kann. Ich dachte an den letzten Frühling, wo ich und mein lieber Schwager so gemütlich miteinander umherstiefelten, und ich wünschte recht herzlich, wieder einmal mit Dir zu plaudern, da war es, wo ich mir vornahm, Dir so bald als möglich zu schreiben. Ich war nicht der einzige Wallfahrter, hinter mir waren Schoppernauer Motla und redeten von der Faschnat und vom „zur Stubat gau" und wie lustig es da und da gewesen sei, während die Auerinnen vor mir von dem Faschnatziestag erzählten, und wie es beim neuen Löwenwirt so prächtig gewesen und alles so friedlich abgelaufen sei. Jetzt kam mir in den Sinn, daß ich dem Rehmer Organisten Greußing das versprochene Lied von Rehmen noch nicht gemacht habe. Während die Motla vor und hinter mir fröhlich plauderten, zündete ich eine frische Pfeife an, schaute hinein in das freundliche Dörfchen, das schon von der Sonne beschienen war, während Schoppernau noch in dunkeim Schatten lag, dann stimmte ich meine Dichterharfe und sang:

Nicht Städte voll stolzer Gebäude, O Freunde, besingt mein Gesang,

Dort schlugen den Frohsinn, die Freude, Einst goldene Fesseln in Zwang;

Doch sind sie entflohen, verschwunden Und ließen die Fesseln zurück,

Sie haben ein Tälchen gefunden, Dort weilt nun die Freude, das Glück.

 

Ihr werdet das Tälchen wohl kennen? Verschlossen dem Treiben der Welt.

Doch will ich das Dörfchen euch nennen, Wo's ihnen am besten gefällt.

Und keiner braucht's übel zu nehmen, Sag ich auch die Wahrheit genau:

Es ist dies das freundliche Rehmen Ein kleines Örtchen bei Au.

Großer Gott: Auf dem Rehmer Kirchturm sah ich die Göttin der Wahrheit stehen. Sie drohte mir mit dem Finger, machte ein Gesicht wie der Kurat Stöckler, wenn er gegen das Tanzen und die Liebschaften predigt oder über die jetzige gottlose Zeit Zeter und Mordio schreit. Die Göttin machte meiner Muse, die da stand, als ob sie das Öl verschüttet hätte, eine Faust und sprach die zornigen Worte: Dichter sollen nicht lügen! Ich stimmte meine Harfe um zwei ganze Töne niederer und sang wieder:

Die glücklichen Rehmer! Sie leben In ewigem Sonnenschein,

Von - Erdäpfeläckern umgeben, Die ihnen recht prächtig gedeihn.

Die Männer und Buben verdienen, Die Weiber gehn gern zum Gebet,

Die Mädchen sind fleißig wie Bienen Und sauber und freundlich und nett.

 

Sie haben nicht stolze Paläste Und tauschten mit keinem darin;

Denn ihnen fehlt ja nicht das Beste: Genügsamkeit, fröhlicher Sinn.

So leben sie fröhlich und munter Genießend das häusliche Glück.

Sankt Josef schaut segnend herunter Vom Himmel mit lächelndem Blick! ?- !- ?

Ich wagte nicht mehr, auf den Kirchturm hinauf zu sehen, was die Göttin der Wahrheit für ein Gesicht mache, sondern ging in die Kirche, so schnell ich konnte, mich tröstend mit dem Gedanken, daß selbst der dreimalgroße Schiller öfter gesungen habe, wie es sein sollte, als wie es war. Die herrschenden Übelstände eines Ortes können nicht besungen werden, wenn man sich nicht mit allem verfeinden und so das Zutrauen der Leute leichtsinnig verscherzen will. Nach dem Gottesdienst, von dem ich Dir nichts mitzuteilen weiß, als daß er ungemein lang währte und daß der Kapuziner, der jetzt in Schnepfau ist, gepredigt hat, während in der Gegend, wo ich war, einige schliefen, ging ich zu den Deinen hinab und traf alle gesund beieinander an. Nur Jok war, wie gewöhnlich, nicht daheim. Er hat jetzt, wie der Schneider sich auszudrücken beliebte: „ 's Füdla voll Kopfarbeit". Ich fragte, ob ich Dir nichts von ihnen schreiben könne, wenn ich Dir allenfalls schreibe, da sagte die Mutter: zu schreiben hätte man Dir viel, worüber Du lachen müßtest. „Was?" Vom Jok, der hat kein Ruhigs mehr wegen den Schulden und wegen dem Kühkoufen und wegen allem. Er hat keinen guten Humor, brummelt, daß man lachen muß, und wenn man ihn auslachen will, wird er wild.

Jetzt sei er ins Lechtal und habe im Sinn, Kühe zu kaufen, wenn sie nicht gar zu teuer seien. (Vom Sattel und das Übrige, was zu den häuslichen Angelegenheiten gehört, wird er Dir in Beiliegendem wohl selbst geschrieben haben.) Ich blieb den Nachmittag dort und trank Most mit dem Schneider, der einen guten Humor hat. Ich erfuhr da, daß der N. Feßler, der Dich letzten Herbst besuchte, als Pfarrer nach Schnepfau kommen werde. Man redet auch wieder davon, daß der Schoppernauer Pfarrer fortkommen werde. Und da gibt es Leute genug, die sich fürchten, der Stöckler könnte kommen, und den wollte man halt nicht. In Bezau sind die Jesuiten wieder gewesen und haben geschaut, was sie wohl für Früchte der Buße dort finden und was ihr Predigen vor zwei Jahren gewirkt habe. Sie sollen, sagt man, nicht absonderlich zufrieden gewesen sein. Da ich gerade von Bezau rede, muß ich Dir auch meinen Gedanken über unseren Herrn Landtagsabgeordneten Egender mitteilen. Schiller sagt: „Adel ist auch in der sittlichen Welt; gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind." Nun Herr Egender hat auch bloß das, was er ist, einmal tun tut er schon sauber gar nichts. Mir kommt es vor, [als] ob solche edeln Naturen sogar zu edel seien, um auf den Landtag als Abgeordnete geschickt zu werden. Doch Du wirst den Bericht ja selbst lesen. Am Schwarzenberg ist der Landeskassier gestorben. Gott gebe ihm die ewige Ruhe und ein Weltmeer Roten! Auf dem Heimwege von Au kaufte ich mir noch Papier, um wieder schreiben zu können. Denn ich bin immer noch mit meiner Dorfgeschichte beschäftigt und erlaube mir nur, ein wenig mit Dir über meine gegenwärtige Arbeit, mit der ich jetzt bis zum 7. Kapitel gekommen bin, mich zu unterhalten, denn ob es auch Dich unterhalten wird, ist noch sehr zweifelhaft.

Als ich vor zwei Jahren Coopers „Lederstrumpf-Erzählungen" las, da schwärmte ich förmlich für den Wildtöter, diese schöne Dichtung, aus der ein kräftiger Waldduft entgegenwehte, begeisterte mich zu meinem Schwarzokaspale, und doch würde kein Mensch eine bedeutende Ähnlichkeit zwischen beiden finden. Aber das ist nicht nötig, ich wollte ja nicht nachschreiben. Später, als ich den Plan zu meiner Dichtung gemacht hatte, las ich den Auerbach, und ich glaube, es wäre für mich fast besser gewesen, wenn ich ihn nicht gelesen hätte. Doch habe ich seine Richtung kennen gelernt, seine Bauern sind so herausgebürstet und gewichst, sie haben Uhlandische und Auerbachische Gedanken und sind ganz gemacht für die noble Welt, aber - Schwaben sind es keine mehr, d. h. es sind verklärte Schwaben, wenn ich so sagen darf, wie die Schillerschen Gestalten. Nun habe ich in meinen Liedern „Die Stickerin" und „Rehmen" auch ideal gemalt, aber ich glaube, daß das beim Liede eher sein solle als bei der Dorfgeschichte, der Sänger soll auch edle Gefühle wecken, wo sie schlummern, der Romanschreiber aber sollte die Menschen malen, wie sie sind; er darf zwar einzelne Charaktere als Gegensatz und Muster etwas besser machen, als man sie im gewöhnlichen Leben antrifft, aber das Volk im allgemeinen, welches den Hintergrund bildet, sollte ein Dichter, der nützen und nicht bloß schmeicheln will, gerade so zeichnen, wie man es alle Werktage sieht und hört.

So dachte ich, als ich meine jetzige Dorfgeschichte zu schreiben anfing, die mit der frühern wenig oder gar keine Ähnlichkeit hat. Ich habe hier auch die Schattenseiten des Bauernlebens darzustellen, und ich will Dir nur mit ein paar Worten sagen, wie ich das zu tun gedenke.

Du wirst selbst gesehen haben, daß es im „Wald" Bauern gibt, die hübsch beim Alten bleiben wollen, ich möchte das die Schoppernauerhaftigkeit nennen, es gibt aber auch Fortschrittler, die alles Alte über den Haufen werfen wollen, man könnte das den Auerismus nennen. Z. B. gestern sagte Dein Bruder Jok: „Wer bloß bei seinen vier oder sechs Kühen hocke und sich wohl sein lasse, der sei nichts, man sollte etwas anfangen." Er meint, es solle alles zappeln und springen wie er. Und ich weiß ganz gut, was bereits alle Schoppernauer sagen würden, wenn sie das gehört hätten. Nun, diese beiden Richtungen, Schoppernauerhaftigkeit und Auerismus, habe ich zu schildern versucht und habe im Sinn, eine dritte als die versöhnende dazu zu tun. Wie ich das in der Geschichte, die ich schreibe, machen werde, weiß ich noch nicht, aber ich schreibe keinen Roman, bei dem der Schluß, sondern ein Werk, das an sich selbst die Hauptsache ist - wenn ich es kann, wie ich möchte. Ich habe mir den ganzen Gotthelf angeschafft und lese sehr fleißig darin. Da habe ich mich mehr als einmal verwundert, wie ganz regellos er seine Sachen geschrieben und wie kunstlos und einfach abgeschlossen hat. Bei ihm ist das Werk die Hauptsache. Mir gefällt er gut. Mit Auerbach hat er gar nichts gemein, als daß beide Dorfgeschichtschreiber sind, und wie mir die Naturdichtung Goethes mehr zusagt als die Kunstdichtung Schillers, so gefällt mir auch Gotthelf besser als Auerbach. Dir würde auch Auerbach besser gefallen, glaube ich, wie Dir auch Schiller besser gefällt. Du würdest Dich aber irren, wenn Du glaubtest, ich wollte unsern größten Dichter im Ganzen mit den beiden Dorfgeschichtschreibern vergleichen. Ich brauche diesen Vergleich nur, um Dir meine Gedanken mitzuteilen. Nun möchte ich Dich bitten, mir darüber und über das Rehmerlied auch die deinen zu schreiben. So! Wenn Du endlich bis daher gelesen hast, so bist Du glücklich zum Schluß dieser Abhandlung gekommen, und nun will ich Dir, damit die Sehnsucht nach einem nächsten Brief bei Dir nicht zu groß werde, noch versprechen, daß ich dort meine Abhandlung wieder fortsetzen werde, und nun hoffe ich, es werde Dich nicht mehr grob darauf „blangoro". Hast Du Dir Liebigs „Geschichte des Feldbaues" schon angeschafft? Wie gefällt sie Dir?

Ich und die Meinen sind gesund und wohl und alle Welt läßt Dich grüßen.

Lebe wohl, lieber Freund, und vergiß nicht Deinen aufrichtigen Freund

F. M. Felder

Wenn Du Zeit dazu hast, so bitte ich Dich, mir wieder ein paar Zeilen in meine Einsamkeit zu schicken.

Keine