VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
303
10. März 1867

Liebster Freund,

Heute muß ich. an Sie schreiben, obwol Sie eigentlich heute noch nicht darangekommen wären. In der gestern erschiene­nen neuesten Nummer der Gartenlaube im Feuilleton kom­men Sie mit vor, wie neulich in der Beilage dazu, den deut­schen Blättern, beidemal von Keils eigner Hand. Die gestrige Notiz besagt, daß die Gartenlaube selbst an Ihrer Bildung einen wesentlichen Antheil habe, wie aus guter Quelle in Erfahrung gebracht worden sei. - Nun durfte ich denn nicht länger zögern, selbst meinen Gang zu Keil zu thun und mich persönlich als beste Quelle vorzustellen, nachdem bei Keil das Interesse an Ihnen von selbst so weit gediehen war. Ich hatte den Gang, der mir aus ändern Gründen nicht ganz an­genehm war, deßhalb noch immer verschoben, weil ich Ihre ersten Briefe immer noch nicht zurück habe aus Halle. Nun aber brauchte ich sie nicht mehr, und machte mich also heute vor Tische auf, nachdem ich Ihren Tannbergaufsatz in die Tasche gesteckt, samt der allerliebsten Zeichnung von Schröcken, auch Ihrer Photographie und einigen Briefen von Ihnen, gerade wie eine Batterie Munition einlädt ehe sie in die Schlacht fährt. Keils Haus ist mir zufällig nahe, etwa acht Minuten Weges, in unserm Stadtviertel, unmittelbar an einen großen Raum anstoßend, der mit lauter Gärten besetzt ist, das sogenannte Johannisthal, in das es von einer kleinen Höhe hinein schaut, wie ich aus meinen Fenstern etwas ferner hinein schaue. Da steht das Palais, das sich Keil von den Erträgnissen seines Blattes vor einigen Jahren gebaut hat. Ich hatte es noch nie betreten, nur im Vorbeigehen mit eignen Gedanken von außen bewundert. Jetzt aber trat ich hinein durch die Vorhalle, steinerne Treppe, Corridore, alles wahr­haft fürstlich, mit schönstem Geschmack, ich kam mit dem Gefühl des sichersten Erfolgs, innerlich, lächelnd; ich wußte ja voraus wie ich nun aufgenommen wurde.  Keil war im Comptoir, wohin mich sein anmuthiges langlockiges Töchter­lein führte. Ich nannte mich und Ihren Namen. „Ah das ist ja vortrefflich!  Ich  habe vor acht Tagen dorthin  geschrieben und ihn aufgefordert, ob er mir nicht ein Charakterbild von seinem Ländchen schreiben wolle, ich wollte ihm 100 fl. für den  Bogen geben."  Denken Sie sich  mein  Erstaunen  und meine Freude.  Ich klopfte auf meine Tasche, „das hab ich hier!" langte auch die Zeichnung heraus, die ihm sehr gefiel und die er noch heute zum Holzschneider geben wollte. So war das Geschäft abgemacht, ehe ich noch kaum zu reden angefangen - Sie sind ein Glückskind, Freund. Ich blieb dann noch über eine Stunde bei ihm, die uns sehr rasch vergieng, erzählte von Ihnen und wie ich Sie kennen gelernt, und von Nümmamüllers und von den Sonderlingen, auch warum ich jetzt erst mit dem Aufsatze und Ihrem Briefe an ihn käme, und es war alles gut, als hätte alles mit einander nur gerade auf diesen Augenblick gewartet. Er bat mich dringend, ein­mal überhaupt aus meiner Wissenschaft ihm zuweilen Bei­träge für die Gartenl. zu liefern (dieß als Schmerzensgeld für die damalige Zurückweisung, die ich nicht verschwieg), be­sonders aber, so bald als möglich einen Aufsatz über Sie zu machen, wozu er denn Ihr Bild wünscht. Die jetzige Photo­graphie, meinte   er, würde   dem   Zeichner zu   viel   Mühe machen, ein gutes Bild daraus zu gewinnen; er bat, ob Sie sich nicht etwa in Lindau bei einem besseren Photographen könnten abnehmen lassen. Ihre Antwort an ihn könnten Sie ja in einem Brief an mich einschließen. Ob ich in der näch­sten Zeit den Aufsatz über Sie werde machen können, weiß ich gar nicht; es ist mir eigentlich auch noch zu früh, obwol ich längst schon entschlossen bin, eben so das Publicum mit Ihrer Person bekannt zu machen. -

In Gosches Aufsatz über Sie wird nun auch schon von den Sonderlingen die Rede sein. Das wird möglich, weil in der Ausgabe des 2. Bandes seines Jahrbuchs eine Verzögerung eingetreten ist, wieder ein Glücksumstand für Sie. Gosche bat mich neulich um Einsendung der Sonderlinge, und Hirzel hat ihm den damals eben fertigen ersten Band geschickt. Ich bin unsäglich gespannt auf Gosches Urtheil. Auch der Redac­teur der Europa, Dr. Steger, den ich neulich kennen lernte, seine Bekanntschaft Ihretwegen suchte, ein frischer interes­santer Mann, der schon von Nümmamüllers her sehr für Sie eingenommen ist, erwartet die Sonderlinge mit Ungeduld und spitzt schon seine Feder zu einem Artikelchen über Sie. Meine Bekanntschaft mit Steger machte mir übrigens sehr wenig Mühe (um Sie zu beruhigen), ich brauchte nur in einer Bierwirtschaft zwei Häuser weiter auf meiner Windmühlen­straße Abends mein Glas Bier zu trinken, wo Steger am Stammtische sitzt und die Unterhaltung beherrscht, unter Leuten die zum Theil zu meinen Freunden und guten Be­kannten gehören - sehen Sie, so ist in Leipzig alles hübsch nahe beisammen, wenn sichs darum handelt, für einen Vor­arlberger Bauerdichter Propaganda zu machen. Auch Hirzels Geschäft und Wohnung ist nur etwa acht Minuten von mir entfernt und vier Minuten von Keil, es ist dieß unser Buch­händlerviertel, wo die Verleger zu Dutzenden beieinander sit­zen. Diese Erwähnungen sollen Sie einstweilen auf Ihren Besuch hier ein wenig vorbereiten, auf den sich schon so mancher freut.

Ihre Flugschrift war mir sehr interessant. Die Einleitung ist der ganze gute Felder, das Weitere, wo Sie Geschichtsphilo­sophie nach Lassalle vortragen, erweckt freilich meine Kritik; es fehlt da genauere Kenntniß der wirklichen geschichtlichen Vorgänge, und mir behagt der Begriff Staat nicht, dieser eigentlich romanische Begriff, mit dem man jetzt zu viel hantirt, er birgt eigentlich so viele Verdunkelungen der Wirk­lichkeit wie der Begriff Kirche, der in der Geschichte so viel Unheil angerichtet hat, doch das wäre zu weitschichtig für heute. Ich wünschte aber sehr, daß Ihr Aufsatz ganz gedruckt würde, hier geht das wol nicht gut. Die Flugschrift Ihres Schwagers hab ich noch nicht ganz lesen können, sie spricht mich aber mehr an als die erste, ja manches hat mich lebhaft angesprochen, Ihr Schwager muß auch ein Original sein ­und ein warmherziger Mensch. Aber mein Papier ist alle und meine Zeit auch, also Gott befohlen,

Ihr R. Hildebrand.

PS. I. Nächstens werd ich Ihnen auch eine Flugschrift von mir schicken, die in meinen Wörterbuchsferien zu Stande gekom­men ist, sie wird Sie theilweis wol auch interessieren, sie kämpft auch gegen Zopf und verknöchertes Herkommen, freilich auf einem ganz ändern Gebiete, das sich aber doch mit dem Ihrigen nahe berührt.

PS. II. Neulich lief bei mir ein briefliches Urtheil von dem Dichter des Ekkehard, Scheffel, über Ihr Schwarzokaspale bei mir ein, Sie können damit sehr zufrieden sein, ich werde Ihnen den Brief schicken, jetzt hat ihn Hirzel noch, der dar­über sehr erfeut war.

Keine