VON LORENZ MAYER AUS WIEN

lfndenr: 
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23. März 1868

Lieber Freund

Verzeihen Sie meine Saumseligkeit. Ihr Schreiben erhielt ich, als ich gerade an einer längere Zeit andauernden Zahngeschwulst litt. Herrn Neumann kenne ich nicht, wohl aber den früheren Redak­teur u. jetzigen Eigenthümer des Wanderer, Herrn Graf. Von letzterem konnte ich nichts erfahren er versicherte mir aber, daß, falls das Schreiben nicht benutzt wurde, dasselbe von Seite der Redaktion jedenfalls nicht in fremde Hände gelangt wäre; übrigens werde[n] in jetzigen Zeiten die Redaktionen so mit Zuschriften von allen Seiten bestürmt, daß es unmöglich sei Alles zu benutzen u. nur zu beantworten, wahrscheinlich sei jedoch in der Korrespon­denz des Wanderers an den Einsender eine Notiz gegeben worden. Übrigens, mein Freund, trösten Sie sich wegen der Anfeindungen der Klerikalen, wenn dieselben nicht gerade gefährliche Bedrohun­gen sind. Die Klerikalen sind in ganz Österreichrbis zum Wahnsinn wühtend, weil sie eben merken, daß es nun wirklich Ernst gilt. Die große Konkordatsdebatte im Herrenhaus hat die Niederlage der Ultramontanen entschieden, u. dieselbe hatte Nachts in den Strassen Wiens ihr Nachspiel. Ungeheure Volksmassen wälzten sich bis Mitternachts in den Strassen Wiens unter Jubel u. stürmi­schen Beifallsbezeigungen für Auersperg u. die Minister. Man ließ das Volk unbehindert gewähren, u. auch Offiziere betheiligten sich an der Demonstration. Es war in der That rührend anzusehen, wie selbst Greise von der wuchtigen Rede Auerspergs u. Anderer wie Jünglinge elektrisiert waren. Überall begegnete man nur von Freude strahlenden Gesichtern. Noch nie habe ich eine so allge­meine u. warme Kundgebung erlebt, u. ohne den geringsten Exzeß. Einige wollten dem Rauscher u. Genossen eine Katzenserenade bringen, aber man vermied es, um die edle Kundgebung auch durch keinen Mißton zu stören.

Die Arbeiter Wiens sind recht rührig, u. die Bewegung ergreift immer weitere Kreise. Es liegt eben in dem Plane des Arbeiterbildungsvereins dieselbe über ganz Österreich auszudehnen. Man darf bei allem dem jedoch nicht übersehen, daß der große Bil­dungsmangel bei der großen Majorität der Arbeiter dem Vereine in seiner Wirksamkeit große Schwierigkeiten bereitet. Zudem besit­zen selbst die gebildeten unter ihnen eine bedauernswerthe Abnei­gung gegen die Norddeutschen, namentlich einen großen Preu­ßenhaß.

Den Seiffertitz habe ich seit seinem neuerlichen Hiersein noch nie getroffen. Wenn Sie mit Ihrem neuen Roman zu Ende sind, u. derselbe im Druck erschienen sein wird, lassen Sie mich dasselbe wissen. Schon der Titel „Reich und arm" läßt mich aus Ihrer Feder interressante Schilderungen erwarten.

Dem tapferen Kämpen für Freiheit u. Gesittung im Geiste die Hand drückend grüßt Sie herzlichst

Ihr

Ergebener Freund L. Mayer

Keine