FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
227
1. September 1866

Lieber Freund!

Von meiner Reise glücklich und vergnügt zu Hause angelangt, hab ich mich gestern an Elsensohns Sagen gemacht und will nun Dir und unsern Freunden (Förster) meine Gedanken kurz mitteilen.

Gottlob! noch selten hat ein Buch einen so ungünstigen Ein­druck gemacht wie dieses.

Man müßte, um daran Genuß zu finden, so ganz alles Schwunges, aller Poesie bar sein, wie das von uns Wäldern in der wunderlichen Vorrede behauptet wird. Das sind wir aber nicht, was aus meiner Beurteilung erhellen wird, die ich im Interesse der Wissenschaft und zur Ehrenrettung der Wäl­der veröffentlichen zu sollen glaube.

Also, wir haben kein Gemüt - der Realismus beherrscht uns, weil Elsensohn nicht noch mehr Sagen vorfand!!! Haben etwa halbwilde Völker Gemüt, wenn sie [ihre] Welt mit Teufeln bevölkern?

Ist in den im Dialekt gebrachten Sagen kein Gemüt? Und die allesind von einem echten Wälder, nämlich von mir. Es wäre eine schöne Sache gewesen, wenn Herr Elsensohn das ange­geben hätte wie andere Gelehrte, denen derselbe Mitarbeiter diente. Doch dazu war der Herr Professor dem realistischen Wälder gegenüber zu - gemütlich. Gemütlich? Sind es die vom Herrn E. gebrachten Übersetzungen meiner dialekti­schen (?) Beiträge.

Ein Vergleich wird lehren, daß sie es nicht sind. Sie sind aber auch ungenau, um das gelindeste Wort zu brauchen. Seite 10 übersetzt er Glishose in „eine von Schmutz glänzende Hose", und doch weiß jedermann, daß das Wort Gliedshose, einen Strumpf ohne Socken bedeutet. So geht es, wenn man sich mit fremden Federn schmückt, ohne daß man damit umzugehen weiß.

Frag ihn doch einmal, was eine Glishose sei, damit Du für eine zweite Auflage ihm die nötige Auskunft geben kannst, wenn ich bis dahin nicht Zeit finde, es anderwärts zu be­merken.

Das Buch könnte nämlich auch anderwärts gelesen und aus­geschrieben werden, und eben darum hat vieles in demselben mich so geärgert. Um noch so gelinde als möglich zu reden, ist es wunderbar, daß ein Professor, dem seine Wissenschaft seine Religion sein sollte, diese so behandelt, daß er der Fälschungen nicht errötet und die Stirn hat, so etwas mit ge­lehrtem Apparat zu behangen und realistisches Zeug mit gemütvollen Lügen aufzuputzen.

„Aber wegen einer Glishose soviel Staub aufwerfen ist doch zu arg."

Als ob das die einzige Fälschung wäre?

Seite 9, um ein Beispiel anzuführen, findet sich der gesottene Kuhhirt von der Alp Schiedelen. Diese Alp kenne ich als ihr Besitzer und langjähriger Pfister doch auch ein wenig, die erwähnte Sage aber habe ich nie gehört. Nun, solche alte Geschichten sind eben zugrunde gegan­gen.-

Gut, aber die alte Schiedel ist meines Wissens nie zugrunde gegangen, und wenn Herr Professor etwa das zugestehen, so ist ganz klar, daß die Geschichte vom gesottenen Kuhhirt bis zum Jahre des Unheils 66 noch von keinem Auge gesehen und von keinem Ohr gehört wurde.

Urkund dessen:

Jede Sage paßt auf den ihr unterlegten Boden wie eine Faust auf ein Ohr. Die Sagen würden wenig Glauben finden, wenn man sie in die Luft hängte, wenn sie nicht fruchtbaren Boden fänden. Jede Sage wuchs aus dem Boden, dem Fluß, dem Felsen heraus, das weiß ich bestimmt vom Lesen, Leben und Beobachten. Herr Elsensohn aber scheint das nicht gewußt zu haben, trotz den von ihm in der Vorrede angeführten Werken, sonst würde er doch etwas geschickter, naturge­mäßer gelogen haben, (Dichtung ist das nicht). In dem mehr erwähnten Gesage vom gesottenen Küher vernahm ich mit Staunen, daß der eigentümlich verunglückte Küher aus der obern Alp (Hefte) einen Kessel holen wollte. Wer hat aber und wozu hat man den Kessel dort hinauf gebracht? Doch nicht etwa zum Sennen?

Freilich wurde dort in den dreißiger Jahren ein kleiner Not­stall gebaut, aber von einer Sennerei war, seit die Schiedel in jetziger Form dasteht, wohl nie die Rede. Die erwähnte Sage müßte daher eine vorsündflutliche sein, in welchem Falle es dann allerdings begreiflich wird, daß ein realistischer Wälder sie nicht gehörig zu schätzen weiß.

Ich für meine Person glaube nicht an Wunder und erkläre daher die - Sage als eine derjenigen, die bei uns nicht vor­kommen. Darum aber hab ich sie noch nicht weggeworfen. Da sie nicht einem so realistischen Volke entstammt, das aller Poesie bar, wird sie sich wenigstens in ihrer Tiefe und Gemüt­lichkeit vor den Wäldersagen auszeichnen. ­Und wirklich:

Ein Alpknecht glaubt nicht an Gespenster und wird dafür von ihnen in einem Milchkessel - gesotten in der oberen Alp Schiedein.

Wie gemütlich und poetisch, welche Tiefe und Höhe und dabei diese Zartheit der Empfindung und der tiefsittliche Grundgedanke so sagenhaft fein umduftet, o, o, o! Ich bin überzeugt, diese und ähnliche Sagen sind vom Heraus­geber, und diese Überzeugung läßt nichts leichter erklären, wie Herr E. ein Volk, zu dem er sich selbst zählt, ungemütlich und aller Poesie bar finden kann.

Doch genug!

Keine