FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
180
3. April 1866

Lieber Freund!

Leider muß ich mir einige Gegenbemerkungen auf einen Brief erlauben, der mir durch das Beigelegte aus einer Ver­legenheit half, in die ich nicht so bald wieder zu kommen hoffe. Doch ich darf kurz sein. Wer mich zu meinem Vor­oder Nachteil neben den Schröcker Wirt stellt, der muß weder den Angriff des Pfarrers noch meine Verteidigung kennen. Jedenfalls, das werden Dir alle meine alten und neu­gewonnenen Freunde bezeugen, war ich weniger feig als er, was auch nicht viel sagen will. Daß ich einer vielleicht Jahre dauernden Feindschaft zwischen Oberdörflern und Unter­dörflern, die er nach dem Grundsatz: Trenne und herrsche ­schaffen wollte, entgegenarbeitete, wirst Du mir, wenn auch nicht wie die Schoppernauer, danken, doch auch nicht ver­argen. Ich habe mich selbst verteidigt, und Rüscher wird nie mehr stehen, wo er stand. Von meiner Agitation wird jetzt bis nach Bezau da und dort geredet. Auch das Rätzle redet mit und die Sache ist ihm gar nicht besonders - zuwider. In der Sennhütte in Argenau, Argenzipfel, Rehmen u. a. wird täglich davon geredet und darüber gestritten. Gestern war auch beim Schmidlebuab große Käsversammlung, zu der ich eingeladen war. Und Freund: So hast Du Dir die Wäldler wohl nicht gedacht, wie sie sich jetzt zeigen, da sie einmal eine gemeine Idee haben, sich aufzurichten. Schon das, was ich und andere dabei lernen können, ist nicht zu schätzen. Dein Urteil ist etwas - besonnen, und das ist recht, denn wir sind vielleicht zu begeistert.

Armer Schneider! Seine Marie ist ihm untreu geworden und hat sich vorgestern mit einem gewissen Ober verkünden lassen. Das hat er wohl nicht erwartet; aber ich würde den guten Vetter doppelt bedauern, wenn ihm die Geschichte böses Blut machte. Vor 14 Tagen scheint er noch nichts geahnt zu haben. Professor Elsensohn von Bezau (in Teschen) hat mir einen höflichen Brief geschrieben und mich ersucht, ihm die hiesigen Geister- und Hexengeschichten zu sammeln. Ich habe dann die Dummheit gemacht, mich zu entschul­digen, daß mir das jetzt fast unmöglich sei, weil ich an einem größeren Werke arbeite, das durch eine Unterbrechung in der Arbeit leiden würde. - Für den Frühling hab ich alles Gute versprochen, denn bis dahin hoffe ich, mit den Sonderlingen fertig zu werden. -

Ja, ich kann nicht helfen. In Gottesnamen, ich muß wieder einmal von diesem, Dir vielleicht just nicht zu den Akten passenden Schmerzenskind anfangen. Das Werk liegt voll­endet im Entwurf vor und ist jetzt auch der 2. Band bis zum 7. Kapitel, Bogen 30, abgeschrieben. Mein Urteil über das Ganze steht fest, und ohne dem Deinen vorzugreifen, sage ich schon jetzt:

Das Werk rechtfertigt durch seine Eigentümlichkeit sein Er­scheinen auf dem reichen Büchermarkt.

Es sind zwei nagelneue Charaktere darin geschildert, und das ist selten: Barthle - Senn.

Es ist ein nicht wertloser Beitrag zur Völkerkunde Deutsch­lands.

Über Anlage und Durchführung, über die vorgesteckten Ziele und den, ihnen näher kommend, zurückgelegten Weg näch­stens mündlich.

Ich möchte Dir das Werk zur Durchsicht geben und ich habe tausend werte Beweise dafür, daß Du meinen Wunsch gern erfüllen wirst, und zwar umso lieber, da ich aus Überzeugung manchen Deiner Wünsche genügend berücksichtigte. Ich wünschte aber, daß ich die Arbeit bald fortschicken könnte, um inne zu werden, was man in Norddeutschland dazu sagt, und es wäre mir lieb, wenn die erwähnte Prüfungszeit bei Dir nicht zu lange dauerte. Soll ich Dir das Werk bringen, damit wir es gemeinsam durchgehen oder soll ich es auf der Post schicken. Vom ersten Teil - den Du gelesen - und der zweite wäre bald durchgenommen. Er ist ganz regelrecht genau so lang als der erste, aber weniger breit. Vielleicht wirst Du tadeln, daß zu viel Handlungen, aber zuletzt wirst Du auch den Faden durch alles gehen sehen, und wenn die Spitze bricht, auf der alles stand - ja, dann hoffe ich, Dich jubeln zu hören wie meinen Kaspar, als ich den alten Kamin zusammenschlug.

Du wirst fragen, was ich denn hernach mit dem Geschreibsel anfangen werde. Lieber Freund, Vertrauter all meiner Sorgen und Freuden, ich bin so glücklich, daß ich Dir das ganz genau beantworten kann!

Ich glaube, Dir schon früher gesagt zu haben, daß ich gern an den sich mir so freundlich und geneigt zeigenden Dr. Hil­debrand in Leipzig schreiben möchte. Ich hab es getan. Ich schrieb ihm, daß ich beabsichtigte, ihm mein zweites Werk zu schicken, daß mich aber eine längere Krankheit an allem gehindert. Ich schrieb ihm, daß ich damals sehr fleißig war, ich schrieb ihm kurz einen recht ordentlichen Brief, in dem ich ihn anredete, wie ich's drinn hatte, offen und so wahr wie zu Dir, und ich lege hier seine Antwort bei, bitte aber, sie bald zurückzuschicken. Auch seine Photographie hat er beigelegt.

Den Inhalt meines Werkes hab ich beiläufig so angegeben: Die Straßen in unser abgeschlossenes Ländchen werden von Jahr zu Jahr besser, immer näher braust das Dampfroß und immer lauter klopft der Zeitgeist an. Herein, rufen einige, draußen bleiben, schreien viele. Die Ursache des Streites scheint sich auf Augenblicke zu entfernen, doch die alte Ruhe kehrt nimmer. Ferner:

Nicht im Prozessionsschmuck zeig ich meine Landsleute u.s.w. Da ich ihn ersuchte, mich gelegenheitlich einem Verleger oder Dichter zu empfehlen, wagte ich's auch, einige wackere Leip­ziger, mit denen ich ihn in Verbindung weiß, von dem Wälderbäuerlein grüßen zu lassen. Ich hab den Brief in einer frohen Stunde geschrieben und er wurde ganz wie ich. Schade, daß ich keine Abschrift habe, sie würde auch Dir gefallen.

Ja, und der beigelegte Brief wird Dich gewiß auch freuen. Er ist für unser einen so viel, daß ich Dich bitte, mich nicht auszulachen, wenn ich gestehe, daß mir der Tag, an dem ich ihn erhielt, einer der schönsten war.

Wer jetzt meine Sonderlinge liest, der könnte meinen, ich hätte das ganze Werk in den letzten 14 Tagen geschrieben, oder ich hätte das, was jetzt bei uns vorgeht, mit Seherblick erschaut. Ja, es regt sich in den Oberdörflern, und auch seine Unterdörfler verliert Rüscher immer mehr. Hoffentlich werde ich Dir bald mündlich berichten können. Die nächste Woche wird unser schöner Wald vor dem Dorf versteigert.

Der Löwenwirt möchte heiraten und hat mit einer Andels­bucherin zu - unterhandeln angefangen. Da ich noch nicht an einen Krieg glaube, lese ich die All­gemeine nicht gar so fleißig als früher. Jetzt beschäftige ich mich mit dem Dichter Shelley, der nach meiner Ansicht nur zu sehr Atheist, um der Größte der neuen Zeit zu sein. Diese Leute verneinen alles und können bloß niederreißen. An Kraft und Feuer steht er seinem Landsmann Shakespeare wenig nach; doch sein bestes Gedicht bekämpft die Gottesidee und ist mit interessanten Anmerkungen versehen. Ich lese über­haupt jetzt die Ausländer sehr fleißig - Moliere, Bernardin, Beaumarchais u. a. Das sind meine geistlichen Bücher. Die im Sozialdemokrat abgedruckten ,Statuten der Zigarrenar­beiter-Kompagnie in Dresden' enthalten manches für unsere Käsgesellschaft Beachtenswerte. Ich hab sie den Bauern schon mehrmals vorgelesen. Der Dichter Otto Müller bringt in der Roman-Zeitung eine neue Arbeit. Es wäre nicht uninteressant, sie mit der meinen zu vergleichen.

Der Isabell, von der Du mir berichten wirst, bitte ich fol­gendes vorzulesen: Am vorigen Montag hat Josef Oberhauser (Baltasso dar Klinn) das Haus des Mariannele um 815 Bank­noten gekauft, die Güter, da die kleinen Stücke jedem paßten, waren sehr teuer. So habe z. B. ich selbst den Bleaz bei der Bunt um 95 Fl. 35 Kr. Ö.W. gekauft. Das ganze Anwesen kostete 2233 Fl.Ö.W. Der Baltasler hat schon viel Bauholz aufgeführt, und das Mariannele würde lächeln, wenn es die vielen Schindeln sähe. Das Kohlerle im Gschwind ist Hoch­zeiter mit der Witwe des großen Sefflers, das Boldo Maike kommt zu Koarodo Buobo als Magd. Sepples Schnidar geht in die Fremde. Strolza Serafin befindet sich viel besser, Seff­lers Hänsle, der Soldat, hat sich beim Fuhrwerk die Knie­scheibe zerquetscht. Sonst alles beim Alten. Mein Jakob wäre furchtbar nahe verbrannt, er stand allein beim Feuer, seine Kleider gerieten in Brand und als man zu ihm kam, schlugen die Flammen schon ob seinem Kopfe zusammen. Das „Ahlaa" hat ihn dann in die Juppe genommen und die Flamme er­stickt, nur das Haar und die Kleider waren zum Teil verbrannt und eine Hand unbedeutend verletzt. - Es lassen Dich viele Leute grüßen. Zu diesen gehöre auch ich und es wäre mir lieb, wenn Du gelegenheitlich einige Zeilen schreiben tätest. Lebe wohl!

Nun bin ich fertig mit der Isabell, da ich aber nun ans Holz­sägen muß, so darf ich auch mit Dir nicht mehr länger plau­dern. Grüße mir Theresen und sag ihr, sie soll mir berichten, wie ihr das Mädchen gefalle. Baldige Antwort auf die Frage, ob Du das Werk allein lesen willst oder nicht? So wie noch mehreres wäre mir sehr erwünscht. Schreibe also recht bald Deinem immer mehr nach Norden gezogenen, nicht mehr verketzerten, Käshandel predigenden, glücklichen und etwas närrischen Freund

F. M. Felder

Soll ich den Demokrat auch mitbringen, wenn ich komme?

Keine