FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER
Geliebter Schwager!
Dein Schreiben vom 4. d. M. habe ich erhalten und unter Zähneklappern gelesen. Denn in meiner Stube war es damals so kalt, wie bei einer Wälder-Liebschaft. Diese Kälte in meiner Stube war die Ursache des bisherigen Stillschweigens, das Dir, ich fürchte fast, ebenfalls kalt erscheinen könnte. Diese Zeit her trank ich meinen Kaffee in Hopfreben, und daher konnte ich Dir aus zwei Ursachen nicht schreiben: 1. Weil ich nicht viel erlebte und dann 2. Weil ich mit Schreiben warten wollte, bis jener Tag vorüber sei, der so schwer auf meiner Seele lag, wie ein Erdäpfelsack auf meinem Rücken. Am letzten Freitag bin ich heimgezogen, und bald darauf ist er gekommen jener Tag, der mir und noch manchem als ein jährlich wiederkehrendes jüngstes Gericht erscheint.
Als ich am Morgen dieses Tages erwachte, sah zu meiner Verwunderung die Welt gerade aus wie an jedem anderen unfreundlichen Herbsttage. Trotz der Sorgen der armen Menschlein stand der Mond so voll am Himmel wie ein Bräuer, und ich stimmte mit Goethe ein: „Unfühlend ist die Natur!"
Ich sah dann dem Verlaufe dieses Gerichtstages zu, und stimmte dann mein dies illa an:
Tag des Schreckens und der Trauer, Der so
manchen Schoppernauer Und auch andre füllt
mit Schauer.
Fünfundzwanzigster November! Dem schon
mancher im September Buße tat als wärs
Quatember.
Denn an den Kathrinentagen Werden Bücher
aufgeschlagen, Wo die Schulden eingetragen. -
Was die Väter einst verbrochen,
Wird an Kindern nun gerochen,
Fünf Prozente sind versprochen. -
Hilf mir Himmel, helft mir Engel, Denn beim
Adler sitzt der Dengel *) Und enthüllet meine
Mängel.
Ach was soll ich Armer sagen, Wenn selbst
Martins Jok zu zagen Angefangen und zu
klagen? -
Dokus mit den teuren Gulden Kommt von
Mellau, und die Schulden Wollen nicht mehr
länger dulden.
Welche Freude wird entstehen, Wenn wir Gallus
kommen sehen, Wir mit ihm ins Gaden gehen.
Keinem wird er Trost versagen, Der in schönen
Maientagen Seine Milch ihm zugetragen.
Alle hat er aufgeschrieben,
Denen gute Werke blieben Für
den Tag, den tränentrüben.
Alle, die sein Buch erquicket, Eilen froh und
hochbeglücket, Wo kein Dengel sie erblicket.
*) Dengel ist der Name eines Lechtalers, der sehr viel Zins im Bregenzerwald einzuziehen hat. Anmlerkung des Schreibers
Das ist so beiläufig das Bild dieses Tages, wie es nur zu viele Beweise dafür gibt. Die Stickerei ist schlecht, und daher machten die Händler schlechte Geschäfte. Die Güter steigen immer mehr im Preis, wie die Versteigerungen im Oktober und November beweisen. Aber auch die Schulden wachsen. Ich hörte von mehreren Kapitalisten, daß sie noch nie wie heuer mit Darlehen-Gesuchen geplagt worden seien. In den Wirtshäusern war wenig Leben, obschon man an drei Orten Spielleute hatte. Deine Schwester Maria hat nichts aus der Lotterie gezogen und mußte daher bei der Mutter und den fünf gekalbten Kühen zu Hopfreben bleiben. Wenn an diesem Tage eine Predigt gewesen wäre, würde ich Dir vielleicht etwas daraus mitgeteilt haben, da aber keine war, so folge zum Ersatz ein ganz kleiner Auszug aus einer Predigt des Pfarrers von Reutte, gehalten in Au am Leonhardefest, 6. November 1861:
„Als diese Kirche in der Gegenwart eurer Väter eingeweiht wurde, waren eure Väter fest am wahren Glauben, man wußte noch nichts von den verdammten Ketzern und ihren verfluchten Irrlehren. Damals wollte noch nicht jeder Rotzbube ein G'studierter sein. Noch las keiner von ihnen die vermaledeiten Schriften der Lutherischen und ihre giftigen Lügen, die aus der Hölle stammen. Heilige Männer haben es gesagt, daß der Lutherische Glaube nicht der wahre sei, und was wird das für ein Leben sein bei solchen Leuten, die nichts glauben und auch, wie sie es stets getan haben, gegen Staat und Kirche aufwiegeln. Und ihr sagt: Ja! Die Reformiorto bringod Geld! Den Teufel und seinen Anhang bringen sie. Ein Volk, das viel Geld hat, ist das elendste!" - - ???? Siehe obiges Gedicht und den Bericht. Mit dem übrigen will ich Dich verschonen, es ging in diesem Tone fort, und wurde dabei schonungslos auf die Kanzel losgehämmert. Unser Pfarrer läßt der Sache so ziemlich seinen Lauf, aber der Kronenwirt muß ihm geplaudert haben, er wollte mich letzthin examinieren, der Pfarrer nämlich, aber ich gab dem Gespräch soviel möglich eine gemütliche Richtung und es gelang mir, ihn nach und nach auf andere Dinge zu bringen. Er ärgerte sich über den Reisenden der Ringerschen Buchhandlung, daß dieser jedem Mädchen nachlaufe. Er war nämlich auf der Hochzeit der Wurznerin, aber er beklagte sich furchtbar über die Auerinnen, daß sie so scheu gegen ihn gewesen seien und keine mit ihm getanzt habe Soviel ich später erfuhr, hatten noch mehr Leute als der Buchhändler Ursache, unzufrieden zu sein, unter anderen Wisgäbarles Theres, sie wartete den ganzen Abend auf Ritters Josef, und er kam, - bloß nicht zu ihr (dieses Verhältnis soll aus sein). Endlich nahm sie Ritters Sefanton, da kam Schmieds Bub und sagte, er zahle ihm eine Halbe, wenn er sie stehen lasse, und er tat es. Später kam Schuhmacheries Pius, aber Schmieds Bub versprach wieder eine Halbe und Pius ließ sie stehen, endlich erbarmte sich Piusles Kaspar in Rehmen ihrer und brachte sie heim. Mit dem Buchhändler würde Willis Marie schon gegangen sein; aber ihre Schwester Theres und Philomena lagen schon damals schwer krank am Nervenfieber und sind noch nicht besser. Ich bitte Dich nur noch, mir bald zu schreiben, auf daß unser Briefwechsel lebendig werde, und dann bitte ich Dich auch, mir aufrichtig zu sagen, wie oft Du bei diesen langweiligen Berichten gegähnt habest.
Der Ankauf des Anwesens von Matis Strolz an die Deinigen ist vom Gerichte genehmigt worden. Der Sattel und Hopfreben sind noch nicht verkauft. Indes hat Jok den besten Humor. Er und wir alle befinden uns wohl und grüßen Dich recht herzlich. J ....a S ...a wird Dir vermutlich bald schreiben. Ich habe ihr einen Gruß von Dir ausgerichtet, und da sagte sie, daß Du ihr geschrieben habest. Lebe wohl und gedenke stets freundlich - und in christlicher Geduld und DemutDeines Freundes
Fr. Michel Felder.