FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
48
30. November 1861

Geliebter Schwager!

Dein Schreiben vom 4. d. M. habe ich erhalten und unter Zähneklappern gelesen. Denn in meiner Stube war es damals so kalt, wie bei einer Wälder-Liebschaft. Diese Kälte in meiner Stube war die Ursache des bisherigen Stillschweigens, das Dir, ich fürchte fast, ebenfalls kalt erscheinen könnte. Diese Zeit her trank ich meinen Kaffee in Hopfreben, und daher konnte ich Dir aus zwei Ursachen nicht schreiben: 1. Weil ich nicht viel erlebte und dann 2. Weil ich mit Schreiben warten wollte, bis jener Tag vorüber sei, der so schwer auf meiner Seele lag, wie ein Erdäpfelsack auf meinem Rücken. Am letzten Freitag bin ich heimgezogen, und bald darauf ist er gekommen jener Tag, der mir und noch manchem als ein jährlich wieder­kehrendes jüngstes Gericht erscheint.

Als ich am Morgen dieses Tages erwachte, sah zu meiner Verwunderung die Welt gerade aus wie an jedem anderen unfreundlichen Herbsttage. Trotz der Sorgen der armen Menschlein stand der Mond so voll am Himmel wie ein Bräuer, und ich stimmte mit Goethe ein: „Unfühlend ist die Natur!"

Ich sah dann dem Verlaufe dieses Gerichtstages zu, und stimmte dann mein dies illa an:

Tag des Schreckens und der Trauer, Der so

manchen Schoppernauer Und auch andre füllt

mit Schauer.

 

Fünfundzwanzigster November! Dem schon

mancher im September Buße tat als wärs

Quatember.

 

Denn an den Kathrinentagen Werden Bücher

aufgeschlagen, Wo die Schulden eingetragen. -

 

Was die Väter einst verbrochen,

Wird an Kindern nun gerochen,

Fünf Prozente sind versprochen. -

 

Hilf mir Himmel, helft mir Engel, Denn beim

Adler sitzt der Dengel *) Und enthüllet meine

Mängel.

 

Ach was soll ich Armer sagen, Wenn selbst

Martins Jok zu zagen Angefangen und zu

klagen? -

 

Dokus mit den teuren Gulden Kommt von

Mellau, und die Schulden Wollen nicht mehr

länger dulden.

 

Welche Freude wird entstehen, Wenn wir Gallus

kommen sehen, Wir mit ihm ins Gaden gehen.

 

Keinem wird er Trost versagen, Der in schönen

Maientagen Seine Milch ihm zugetragen.

 

Alle hat er aufgeschrieben,

Denen gute Werke blieben Für

den Tag, den tränentrüben.

 

Alle, die sein Buch erquicket, Eilen froh und

hochbeglücket, Wo kein Dengel sie erblicket.

 

*) Dengel ist der Name eines Lechtalers, der sehr viel Zins im Bregenzer­wald einzuziehen hat. Anmlerkung des Schreibers

Das ist so beiläufig das Bild dieses Tages, wie es nur zu viele Beweise dafür gibt. Die Stickerei ist schlecht, und daher mach­ten die Händler schlechte Geschäfte. Die Güter steigen immer mehr im Preis, wie die Versteigerungen im Oktober und November beweisen. Aber auch die Schulden wachsen. Ich hörte von mehreren Kapitalisten, daß sie noch nie wie heuer mit Darlehen-Gesuchen geplagt worden seien. In den Wirts­häusern war wenig Leben, obschon man an drei Orten Spiel­leute hatte. Deine Schwester Maria hat nichts aus der Lotterie gezogen und mußte daher bei der Mutter und den fünf gekalbten Kühen zu Hopfreben bleiben. Wenn an diesem Tage eine Predigt gewesen wäre, würde ich Dir vielleicht etwas daraus mitgeteilt haben, da aber keine war, so folge zum Ersatz ein ganz kleiner Auszug aus einer Predigt des Pfar­rers von Reutte, gehalten in Au am Leonhardefest, 6. Novem­ber 1861:

„Als diese Kirche in der Gegenwart eurer Väter eingeweiht wurde, waren eure Väter fest am wahren Glauben, man wußte noch nichts von den verdammten Ketzern und ihren verfluchten Irrlehren. Damals wollte noch nicht jeder Rotz­bube ein G'studierter sein. Noch las keiner von ihnen die vermaledeiten Schriften der Lutherischen und ihre giftigen Lügen, die aus der Hölle stammen. Heilige Männer haben es gesagt, daß der Lutherische Glaube nicht der wahre sei, und was wird das für ein Leben sein bei solchen Leuten, die nichts glauben und auch, wie sie es stets getan haben, gegen Staat und Kirche aufwiegeln. Und ihr sagt: Ja! Die Reformiorto bringod Geld! Den Teufel und seinen Anhang bringen sie. Ein Volk, das viel Geld hat, ist das elendste!" - - ???? Siehe obiges Gedicht und den Bericht. Mit dem übrigen will ich Dich verschonen, es ging in diesem Tone fort, und wurde dabei schonungslos auf die Kanzel losgehämmert. Unser Pfarrer läßt der Sache so ziemlich seinen Lauf, aber der Kronenwirt muß ihm geplaudert haben, er wollte mich letzt­hin examinieren, der Pfarrer nämlich, aber ich gab dem Ge­spräch soviel möglich eine gemütliche Richtung und es gelang mir, ihn nach und nach auf andere Dinge zu bringen. Er ärgerte sich über den Reisenden der Ringerschen Buchhand­lung, daß dieser jedem Mädchen nachlaufe. Er war näm­lich auf der Hochzeit der Wurznerin, aber er beklagte sich furchtbar über die Auerinnen, daß sie so scheu gegen ihn gewesen seien und keine mit ihm getanzt habe Soviel ich später erfuhr, hatten noch mehr Leute als der Buchhändler Ursache, unzufrieden zu sein, unter anderen Wisgäbarles Theres, sie wartete den ganzen Abend auf Ritters Josef, und er kam, - bloß nicht zu ihr (dieses Verhältnis soll aus sein). Endlich nahm sie Ritters Sefanton, da kam Schmieds Bub und sagte, er zahle ihm eine Halbe, wenn er sie stehen lasse, und er tat es. Später kam Schuhmacheries Pius, aber Schmieds Bub versprach wieder eine Halbe und Pius ließ sie stehen, endlich erbarmte sich Piusles Kaspar in Rehmen ihrer und brachte sie heim. Mit dem Buchhändler würde Willis Marie schon ge­gangen sein; aber ihre Schwester Theres und Philomena lagen schon damals schwer krank am Nervenfieber und sind noch nicht besser. Ich bitte Dich nur noch, mir bald zu schreiben, auf daß unser Briefwechsel lebendig werde, und dann bitte ich Dich auch, mir aufrichtig zu sagen, wie oft Du bei diesen langweiligen Berichten gegähnt habest.

Der Ankauf des Anwesens von Matis Strolz an die Deinigen ist vom Gerichte genehmigt worden. Der Sattel und Hopf­reben sind  noch nicht verkauft.  Indes hat Jok den besten Humor. Er und wir alle befinden uns wohl und grüßen Dich recht herzlich. J ....a S ...a wird Dir vermutlich bald schrei­ben. Ich habe ihr einen Gruß von Dir ausgerichtet, und da sagte sie, daß Du ihr geschrieben habest. Lebe wohl und gedenke stets freundlich - und in christlicher Geduld und Demut­Deines Freundes

Fr. Michel Felder.

Keine