VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
649
20. Dezember 1868

Lieber Freund,

Mit Schreck seh ich am Datum Deines Briefes, daß ich Dich auf Deinen warmen Brief fast sechs Wochen habe auf Antwort warten lassen. Du denkst am Ende, das ist das Professoren­gefühl, zumal Du in Deinem Briefe Miene machtest, aus Ehr­furcht etwas ferner zu treten als sonst. Warte, Schelm - das glaubte ich Dir nicht, wenns auch noch ernstlicher ausgesehen hätte! Und doch, mir wird eben aus der und jener Erinnerung, als kenntest Du mich doch noch nicht so weit, um nicht zu denken, daß ich so etwas für passend hielte. Aber genug von der Tiftelei, ich absolvire Dich auf jeden Fall, wenn Du nur dabei bleibst, künftig Dich mehr aufzuschließen, wie Du in dem Bezauer Briefe schon einen hübschen Anfang gemacht hast. Ich beschwöre Dich, fahr so fort, auch gegen Andere. Laß die Bewegung in Dir mehr heraus aus Dir, Du setzest damit auch Deine Welt mehr in Bewegung; auch in Deine Arbeiten muß noch mehr Bewegung kommen, das laß Dir gesagt sein.

Aber da ist der Professor - der Schulmeister - schon wieder, wirst Du denken, er kathedert und predigt daß es eine Art hat. Ja aber es ist dießmal mein bitterer Ernst, und mein Recht, denn ich bin 14 Jahre älter als Du. Nun aber Dank, warmen Dank für Deinen prächtigen, freundschaftswarmen Brief mit seinem geschriebenen Juchzer; nur das närrische Blatt, das Du zuerst geschrieben hattest, das will ich doch auch haben, falls Du nicht das Unrecht begangen hast es zu vermaculiren, ich bitte mirs auf jeden Fall aus - ebenso sehr Deinetwegen als meinetwegen, ich freue mich drauf. Meine öffentliche Ernennung erfolgte heute vor 5 Wochen, ich habe eine unerwartete Fülle von Freundschaft und Liebe in den darauf folgenden Tagen erfahren; denke nur z. B., daß unser Bürgermeister zu mir sagte, als ich um meine Entlassung von der Schule einkam, er freue sich wie ein Kind darüber, zweimal sagte er das. Da verlohnt sichs doch der Mühe, gelebt und-gelitten zu haben, wie mans eben gethan hat. Nun zurück zu meinen kühnsten Jugendplänen, die auf einmal in greifbarer Nähe und klarer Gestalt vor mir auf­tauchen, während es früher nur Wolkenbilder waren - nota bene, solche Dinge kriegst nur Du zu hören, und wirst am Ende auch nicht recht wissen was Du Dir darunter denken sollst.

Heute vor 3 Wochen war ich in Dresden, um mich bei unserm Cultusminister vorzustellen und zu bedanken-ein interessan­ter Besuch, natürlich in Frack und weißer Cravatte, Bäuerlein! - und sonst einige Freunde zu besuchen. Von Dir war da auch die Rede - freilich nicht beim Minister, wo nur von Wissenschaft die Rede war-d. h. ein lieber Freund, ein Eng­länder, mit einer lieben Frau, hatten sich bis dahin vergeb­lich bemüht, etwas von Dir in einer Leihbibliothek aufzutrei­ben, eine Schande für unsere Residenzstadt! Daran mag wol Fedor Wehl schuld sein mit seiner dummen Anzeige der Son­derlinge in der Constitutionellen Zeitung, wie Karl Frenzel Dir in Berlin geschadet haben wird.

Übrigens mache ich hier Gelehrtenbesuche, um mich meinen neuen Collegen vorzustellen, bin auch schon mit Frau in Halle drüben gewesen, es war ein recht freundschaftswarmer, ja ehrenvoller Tag für mich. In der Schule bei meinen guten Jungen (mein Hugo darunter) bin ich nur noch bis Mittwoch, Doch nun genug oder schon zu viel von mir. Von Reich u. Arm ist noch nicht eine einzige öffentliche Besprechung er­schienen; es gieng ja bei den Sonderlingen auch langsam. Aber mündliche Berichte kann ich Dir geben. Einer Schwester Köhlers in Weimar z. B. hat es sehr gefallen (er selbst ist noch nicht daran gekommen); Hirzel sagte mir, er hörte es an Werth über die Sonderlinge stellen; Reuter berichtete das Urtheil einer hochgebildeten Frau, sie wäre noch nie von einem Roman so entzückt gewesen wie von Reich und Arm. Du siehst also, die Wirkung kommt langsam. Du mußt Dich vor der Hand mit Goethes Worten über Schiller trösten vom Widerstand der stumpfen Welt, der besiegt sein will, und daß das Echte der Nachwelt unverloren bleibt. Aber Du soll­test doch auch den Geschmack und Bedürfniß des Cultur­stroms, wie er nun einmal ist, Dich noch mehr anbequemen lernen; das Wort ist ein Hebel, der die Seelen und Geister auf eine bessere, höhere Stelle heben soll, aber man muß doch den Hebel da ansetzen, wo der Gegenstand (der immer zugleich der Widerstand ist) eben beweglich ist, nicht da­neben. Spürst Du nicht einige Förderung in dieser Richtung durch Deinen doppelten Leipziger Aufenthalt? Du hast dar­über noch gar nichts geäußert.

Ich muß Dir aber auch Glück wünschen zu der glänzenden Anerkennung, die Deinen Vereinsbestrebungen zu theil ge­worden ist, ich freue mich ganz außerordentlich darüber; wenn Du persönlich nur auch etwas davon hättest! Nun wenigstens Freundschaft und Geltung im Lande muß Dir doch immer mehr werden? Was macht denn nur die religiöse Gegnerschaft? Die scheint sich ruhig zu verhalten? Einen Vor­trag hattest Du mir zu schicken versprochen. Läßt man Dir denn in Schoppernau und Au völlig Ruhe? Ist denn der Uhr­macher wirklich mit Weib und Kind fort nach Alberschwende? Wegen der gewünschten Nummer der Grenzboten hab ich zu melden was unangenehm und angenehm zugleich ist. Außer dem Exemplar des Verlegers, das bleiben muß, ist oder war nur beifolgender eine Bogen auf Lager, d. h. die Nummer muß so oft nachverlangt worden sein, daß sie ver­griffen ist. Vielleicht läßt sich aber doch noch ein ganzes Exemplar auftreiben; meins möcht ich doch selber behalten, nicht wahr? Mir fällt dabei ein, daß ja die holländ. Überset­zung der Sonderlinge gar nicht kommen will?! Über die von Hrn. Curat Herzog gewünschte Harmonika hab ich zunächst einen Irrthum zu berichtigen in Betreff der Phis­harmonika; das ist nicht ein Handinstrument wie Deins, son­dern ein ganzes kleines Gebäude etwa in Form und Größe eines Schrankes und unter 60-80 Thaler sicher nicht zu haben.

Wenn aber der Hr. Curat den Preis, den er daran wenden will, näher bestimmt, wird Lippold gern das Nötige besorgen, die Bezahlung ließe sich durch  Postanweisung oder Nach­nahme abmachen, ohne Zusendung des Geldes. ­Daß Dein Jakob nun tüchtig lernt, hab ich mit Freude gelesen, Du hilfst wol mit Unterricht, ich meine mit Fragen und Den­ken, lehren? Ich thue das jetzt mit meinen Kindern (früher that ichs nicht) und finde viel Vergnügen darin. Bei uns ist nun Weihnachten vor der Thür, alles ist in freudi­ger Bewegung,  alle Herzen  und  Herzchen   leben  nur von Weihnachtsgedanken   und   Empfindungen;   nur   eins   fehlt, Schnee, wir haben hartnäckig warmes Wetter. In unveränderlicher Liebe und Treue

Dein Rud. Hildebrand.

Karl (der mein Famulus wird im Colleg, Vetter und Vetter als Professor und Famulus) läßt für den Gruß danken und da­gegen grüßen, ebenso Thieme und alle Ändern. - Weißt Du, daß der Ministerialrath Dr. W. Hamm ein Leipziger ist? er ist auch Schriftsteller, Novellist, und war 1848 als Führer einer Freischar in Schleswig-Holstein. - Was macht die Biographie? ich bin sehr neugierig, und nicht nur ich. Noch eins fällt mir ein. Reuter sagt mir, Du hättest ihm zu­gesagt, eine Photographie von Dir für ihn bei mir zurückzu­lassen. Ich finde und weiß aber nichts davon, hab ihm aber versprochen Dich zu erinnern. Ach bitte schick ihm doch eine, Du machst ihm eine große Freude.

Keine