VON RUDOLF HILDEBRAND
Lieber Freund,
Mit Schreck seh ich am Datum Deines Briefes, daß ich Dich auf Deinen warmen Brief fast sechs Wochen habe auf Antwort warten lassen. Du denkst am Ende, das ist das Professorengefühl, zumal Du in Deinem Briefe Miene machtest, aus Ehrfurcht etwas ferner zu treten als sonst. Warte, Schelm - das glaubte ich Dir nicht, wenns auch noch ernstlicher ausgesehen hätte! Und doch, mir wird eben aus der und jener Erinnerung, als kenntest Du mich doch noch nicht so weit, um nicht zu denken, daß ich so etwas für passend hielte. Aber genug von der Tiftelei, ich absolvire Dich auf jeden Fall, wenn Du nur dabei bleibst, künftig Dich mehr aufzuschließen, wie Du in dem Bezauer Briefe schon einen hübschen Anfang gemacht hast. Ich beschwöre Dich, fahr so fort, auch gegen Andere. Laß die Bewegung in Dir mehr heraus aus Dir, Du setzest damit auch Deine Welt mehr in Bewegung; auch in Deine Arbeiten muß noch mehr Bewegung kommen, das laß Dir gesagt sein.
Aber da ist der Professor - der Schulmeister - schon wieder, wirst Du denken, er kathedert und predigt daß es eine Art hat. Ja aber es ist dießmal mein bitterer Ernst, und mein Recht, denn ich bin 14 Jahre älter als Du. Nun aber Dank, warmen Dank für Deinen prächtigen, freundschaftswarmen Brief mit seinem geschriebenen Juchzer; nur das närrische Blatt, das Du zuerst geschrieben hattest, das will ich doch auch haben, falls Du nicht das Unrecht begangen hast es zu vermaculiren, ich bitte mirs auf jeden Fall aus - ebenso sehr Deinetwegen als meinetwegen, ich freue mich drauf. Meine öffentliche Ernennung erfolgte heute vor 5 Wochen, ich habe eine unerwartete Fülle von Freundschaft und Liebe in den darauf folgenden Tagen erfahren; denke nur z. B., daß unser Bürgermeister zu mir sagte, als ich um meine Entlassung von der Schule einkam, er freue sich wie ein Kind darüber, zweimal sagte er das. Da verlohnt sichs doch der Mühe, gelebt und-gelitten zu haben, wie mans eben gethan hat. Nun zurück zu meinen kühnsten Jugendplänen, die auf einmal in greifbarer Nähe und klarer Gestalt vor mir auftauchen, während es früher nur Wolkenbilder waren - nota bene, solche Dinge kriegst nur Du zu hören, und wirst am Ende auch nicht recht wissen was Du Dir darunter denken sollst.
Heute vor 3 Wochen war ich in Dresden, um mich bei unserm Cultusminister vorzustellen und zu bedanken-ein interessanter Besuch, natürlich in Frack und weißer Cravatte, Bäuerlein! - und sonst einige Freunde zu besuchen. Von Dir war da auch die Rede - freilich nicht beim Minister, wo nur von Wissenschaft die Rede war-d. h. ein lieber Freund, ein Engländer, mit einer lieben Frau, hatten sich bis dahin vergeblich bemüht, etwas von Dir in einer Leihbibliothek aufzutreiben, eine Schande für unsere Residenzstadt! Daran mag wol Fedor Wehl schuld sein mit seiner dummen Anzeige der Sonderlinge in der Constitutionellen Zeitung, wie Karl Frenzel Dir in Berlin geschadet haben wird.
Übrigens mache ich hier Gelehrtenbesuche, um mich meinen neuen Collegen vorzustellen, bin auch schon mit Frau in Halle drüben gewesen, es war ein recht freundschaftswarmer, ja ehrenvoller Tag für mich. In der Schule bei meinen guten Jungen (mein Hugo darunter) bin ich nur noch bis Mittwoch, Doch nun genug oder schon zu viel von mir. Von Reich u. Arm ist noch nicht eine einzige öffentliche Besprechung erschienen; es gieng ja bei den Sonderlingen auch langsam. Aber mündliche Berichte kann ich Dir geben. Einer Schwester Köhlers in Weimar z. B. hat es sehr gefallen (er selbst ist noch nicht daran gekommen); Hirzel sagte mir, er hörte es an Werth über die Sonderlinge stellen; Reuter berichtete das Urtheil einer hochgebildeten Frau, sie wäre noch nie von einem Roman so entzückt gewesen wie von Reich und Arm. Du siehst also, die Wirkung kommt langsam. Du mußt Dich vor der Hand mit Goethes Worten über Schiller trösten vom Widerstand der stumpfen Welt, der besiegt sein will, und daß das Echte der Nachwelt unverloren bleibt. Aber Du solltest doch auch den Geschmack und Bedürfniß des Culturstroms, wie er nun einmal ist, Dich noch mehr anbequemen lernen; das Wort ist ein Hebel, der die Seelen und Geister auf eine bessere, höhere Stelle heben soll, aber man muß doch den Hebel da ansetzen, wo der Gegenstand (der immer zugleich der Widerstand ist) eben beweglich ist, nicht daneben. Spürst Du nicht einige Förderung in dieser Richtung durch Deinen doppelten Leipziger Aufenthalt? Du hast darüber noch gar nichts geäußert.
Ich muß Dir aber auch Glück wünschen zu der glänzenden Anerkennung, die Deinen Vereinsbestrebungen zu theil geworden ist, ich freue mich ganz außerordentlich darüber; wenn Du persönlich nur auch etwas davon hättest! Nun wenigstens Freundschaft und Geltung im Lande muß Dir doch immer mehr werden? Was macht denn nur die religiöse Gegnerschaft? Die scheint sich ruhig zu verhalten? Einen Vortrag hattest Du mir zu schicken versprochen. Läßt man Dir denn in Schoppernau und Au völlig Ruhe? Ist denn der Uhrmacher wirklich mit Weib und Kind fort nach Alberschwende? Wegen der gewünschten Nummer der Grenzboten hab ich zu melden was unangenehm und angenehm zugleich ist. Außer dem Exemplar des Verlegers, das bleiben muß, ist oder war nur beifolgender eine Bogen auf Lager, d. h. die Nummer muß so oft nachverlangt worden sein, daß sie vergriffen ist. Vielleicht läßt sich aber doch noch ein ganzes Exemplar auftreiben; meins möcht ich doch selber behalten, nicht wahr? Mir fällt dabei ein, daß ja die holländ. Übersetzung der Sonderlinge gar nicht kommen will?! Über die von Hrn. Curat Herzog gewünschte Harmonika hab ich zunächst einen Irrthum zu berichtigen in Betreff der Phisharmonika; das ist nicht ein Handinstrument wie Deins, sondern ein ganzes kleines Gebäude etwa in Form und Größe eines Schrankes und unter 60-80 Thaler sicher nicht zu haben.
Wenn aber der Hr. Curat den Preis, den er daran wenden will, näher bestimmt, wird Lippold gern das Nötige besorgen, die Bezahlung ließe sich durch Postanweisung oder Nachnahme abmachen, ohne Zusendung des Geldes. Daß Dein Jakob nun tüchtig lernt, hab ich mit Freude gelesen, Du hilfst wol mit Unterricht, ich meine mit Fragen und Denken, lehren? Ich thue das jetzt mit meinen Kindern (früher that ichs nicht) und finde viel Vergnügen darin. Bei uns ist nun Weihnachten vor der Thür, alles ist in freudiger Bewegung, alle Herzen und Herzchen leben nur von Weihnachtsgedanken und Empfindungen; nur eins fehlt, Schnee, wir haben hartnäckig warmes Wetter. In unveränderlicher Liebe und Treue
Dein Rud. Hildebrand.
Karl (der mein Famulus wird im Colleg, Vetter und Vetter als Professor und Famulus) läßt für den Gruß danken und dagegen grüßen, ebenso Thieme und alle Ändern. - Weißt Du, daß der Ministerialrath Dr. W. Hamm ein Leipziger ist? er ist auch Schriftsteller, Novellist, und war 1848 als Führer einer Freischar in Schleswig-Holstein. - Was macht die Biographie? ich bin sehr neugierig, und nicht nur ich. Noch eins fällt mir ein. Reuter sagt mir, Du hättest ihm zugesagt, eine Photographie von Dir für ihn bei mir zurückzulassen. Ich finde und weiß aber nichts davon, hab ihm aber versprochen Dich zu erinnern. Ach bitte schick ihm doch eine, Du machst ihm eine große Freude.