VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
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12. Oktober 1867

Liebster Freund,

Ich muß mich doch noch heute, am Sonnabend Nachmittag, wider meine Sitte darüber machen, Dir endlich zu schreiben, damit der Bot den Brief am Dienstag mit in Bäzou abholen kann; Du weißt daß ich sonst nur Sonntags ans Schreiben komme. Ist denn aber Eure tägliche Post noch nicht einge­richtet? sie sollte es ja doch sein um diese Zeit? Gib mir doch darüber Nachricht, sobald es geschehen ist, auch wer die Post überkommen hat - Du glaubst nicht, welches Ver­gnügen es mir macht, in Gedanken in Eurem interessanten und doch so einfachen Thale zu leben und mit fortzuleben, mir ist das ein wolthuendes Gegengewicht gegen das ab­stumpfende Bücher- und Schreibtischleben, ich habe die Bücher manchmal recht, recht satt - obwol ich darum noch nicht mit Kühen zu thun haben möchte, wie Du Armer. Reden möcht ich, oder in Ermangelung dessen selber Bücher schreiben von dem was mir den Kopf füllt und manchmal das Herz abdrücken will, daß es besser werde in der Welt nach dem Ideal zu, das mir so klar vor der Seele steht. Hast Du meinen Aufsatz noch nicht wieder? und noch nicht ge­lesen? Ich habe hier schon manche begeisterte Zustimmung gefunden.

Doch zu Dir. Die Anfeindung beginnt also aufs neue! Gott es wäre doch besser, Du könntest aus den elenden klein­lichen Verhältnissen herauskommen - wenns nur möglich wäre! In Halle, wo ich vom 30. Sept - 3. Oct. vier bewegte Tage verlebt habe, wie Du richtig geraten hast - in Halle war die Rede davon (mitten im Trubel von Hunderten wein­launiger Gelehrten) zwischen mir und Frau Prof. Gosche, die eine warme Freundin von Dir ist, NB. eine Berlinerin, eine geistvolle Frau. Sie war entschieden der Meinung, Du müß­test wenigstens ein Jahr lang einmal in einer Universitätsstadt Deine Bildung ergänzen, und erbot sich sogar, für diesen Fall in Halle Dir allerlei Förderung zu verschaffen. Kürzlich äußerte auch Prof. Overbeck hier Ähnliches mit großer Wärme und bot mir seine Mitwirkung durch seine Feder in öffentlichen Blättern an, wenn es nötig werden sollte. Aber das gute Wible wird erschrecken über solche Gedanken - es ist nur gut, daß es eben das Wible ist. Du bist einmal ein halbes Schmerzenskind - ach Gott ich aber auch. Mir in meiner Wörterbuchslage soll übrigens jetzt Hülfe werden vom Norddeutschen Bunde aus, das ist in Halle von der alt­deutschen Section beschlossen worden, d. h. Bismarck um staatliche Unterstützung des Wörterbuchs anzugehen. Gott gebe seinen Segen dazu! Ich freilich möchte vom Wörterbuch los, möchte endlich andere Dinge machen! Wie stehts denn mit der Wiener Sammlung für Dich? Hast Du von Meyern nichts darüber gehört? Überhaupt hast Du mir von ihm, ob Du ihn gesprochen usw., gar nichts geschrieben, auch nicht ob Du in Bregenz Baier (so hieß er wol) und Seifertitz be­sucht hast. Dein erster Brief war recht dürr und kalt, ich er­schrak fast drüber. Nichts Genaueres von Deiner Rückfahrt, die mir, die uns solche Sorgen machte, nachdem ich zumal erfuhr (aus einem ankommenden Briefe) daß der Uhrmacher Felder nicht in München war. Ist denn das Ausbleiben Deiner Briefe aufgeklärt? Da sollte man doch wahrlich an Unter­schlagung denken. Und hast Du Deine Harmonika glücklich durchgebracht? und die Kiste? Wie viel haben wir hier in jenen Tagen an Dich und an das alles gedacht, mit sorglich­ster Spannung dem ersten Briefe entgegen gesehen, und der Brief klang dann genau wie von Einem, der großer Reisen schon seit Jahren gewohnt wäre. Ich schmollte wirklich ein wenig mit Dir, aber nur ein wenig, ä bitzle. Von den Sonderlingen ist augenblicklich alles still, auch von einer 2. Auflage - die Welt ist eben die stumpfe Welt und will langsam gewonnen sein. Auf die gedruckten Liebeszei­chen freue ich mich, mich verdrießt aber noch daß sie Hirzel nicht nahm. Auch mit Deinen Heilsgeschäften hab ich Ver-

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druß gehabt. Kurz nach Deiner Abreise kam ein Brief von Keil, er könnte sie so wie sie wären nicht drucken, sie wären unverständlich, das Wichtigste wäre oft so gesagt, daß es wie künstlich versteckt wäre statt ausgesprochen. Ich gieng hin, nahm das als Corectur schon ganz Gedruckte mit nach Hause, um es zu prüfen, und fand denn wirklich bei ge­nauem kritischen Durchgehen, daß Du wirklich an nicht wenigen Stellen gar zu wenig für das Verständniß des Nicht­bregenzerwälder geschrieben hattest, ja daß Du im Stil hier und da wieder einmal - mit Verlaub gesagt - Dich zu sehr hattest gehen lassen, wie damals in dem 2. Theil des Grenz­botenaufsatzes. Manches war in Deiner Fassung wirklich eigentlich nicht zu verstehen, nur zu rathen, die erklärenden Einzelheiten standen manchmal erst hinter dem, was dadurch erklärt und verständlich wurde. So setzte ich mich denn Sonn­tags hin und suchte das Verfehlte einzurenken und das Dunkle klar zu machen, immer mit Gewissensbissen ob ich auch recht daran thäte, und voll Ärger über die Gartenlaube. Dann trug ichs wieder hin, traf aber statt Keils nur sein Fac­totum, einen gewissen Schaube, der in dem Zimmer hinter ihm sitzt und der eigentliche Macher im Gartenlaubenstil ist. Er trat mir ziemlich kühl entgegen, war auf Deinen Stil gar nicht gut zu sprechen, ich erwiderte ihm entschieden, es wurde ein Gespräch über den Gartenlaubenstil überhaupt daraus, in dem er geradezu zugab, daß er für denkfaule Leser berechnet sei und darum prickelnd sein müßte (er brauchte selbst diese Worte); für die höhere Aufgabe, das Publicum zu erziehen, hatte er gar kein Gehör. Wir schieden nicht etwa in einer gegenseitigen Verstimmung, aber der Aufsatz kommt nicht und kommt nicht, und es ist doch nun schon 6 Wochen her. Ich habe auch immer noch Bedenken, ob es gut gethan ist, diese Dinge in einem Protestant. Blatte dieser Farbe vorzutragen.

Neugierig bin ich auf den Ausfall Eurer Wahlen, und auf Rüschers Angesicht, und auf den Ausfall des Concordats­kampfes in Wien und des Kampfes im Kirchenstaate - ich kann meine Ungeduld kaum bändigen und dächte, Ihr dort müßtet Euch auch vor Ungeduld nicht fassen können! Eure Wiener und die Rothhemden unten stehen jetzt an der Spitze der Menschheitsbewegung, sie stehn recht eigentlich auf der Bresche der uralten Feindesburg, und die ganze Welt sieht ruhig zu wie die Leute für sie bluten.

Kannst Du uns nicht das herrliche Spottgedicht auf Dich ab­schriftlich verschaffen? mir hätte es noch mehr als bloß per­sönliches Interesse. Halt Dich tapfer, sorge für Deine Ge­sundheit (halt vor allem Wort mit dem Heu und Holzziehen), grüß mir Dein Wible und Deine gute Mutter (meine liegt noch immer), den Uhrmacher, die Rößliwirthin, das Döcterle usw. usw.

Dein treuer R. Hildebrand

Ist das richtig, daß bei Euch eine Knutt auch ein dickes Weib bezeichnet? Ich kann eine Notiz von Dir nur so verstehen. ­Bei uns fielen heute die ersten Schneeflocken in die noch grünen Bäume, mit Regen gemischt, in unserm Erzgebirge liegt aber schon fußhoher Schnee, bei Euch vermutlich auch, hat doch Prinz Luitpold des Schnees wegen in Oberstorf die Gemsjagd aufgeben müssen!

Keine