VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
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16. Juni 1867

Mein lieber guter Freund Felder,

Ihre Nachricht aus der Heimat klingt freilich wenig tröstlich, die Aussicht die Heimat verlassen zu müssen muß Ihnen das Herz einklemmen. Aber ich muß sagen, daß vom ersten Aus­bruch des Zerwürfnisses an meine innersten Gedanken mir das gesagt haben. Sagt es doch schon Klausmelker dem Franz, daß er mit dem Pfarrer auf die Länge nicht in demselben Dorfe leben könne. Ihre Hoffnung aber, daß der Pfarrer der Weichende sein werde, nicht Sie, hab ich keinen Augenblick theilen können. Wenn nur erst der Umzug schon bewerk­stelligt wäre! Dann muß sich Ihnen nothwendig ein neues Leben aufthun, Sie müssen dann Ihre Kräfte ganz anders frei fühlen, ja Sie werden von dort, auf freierem Boden, der Cul­turwelt näher, wahrscheinlich besser an Ihren Aufgaben wir­ken können, selbst mit besserer Rückwirkung auf Ihr Hei­matsthal. Wer den Stein heben will, darf auch nicht zu nahe daran oder darunter stehen; nur in rechter Entfernung davon kann er den Hebel ansetzen.

Mich schmerzt es, daß Ihr Brief so weich und wehmütig klingt, und daß ich selbst noch zu Ihrem Weh etwas beige­tragen habe unwissentlich. Ich verstehe aber nun erst recht nicht, wie Sie zu der Frage kommen konnten, es muß da ein Sprachgebrauch Ihrer Heimat unterliegen, den ich nicht kenne. Ich wollte mit kleine Seelen andeuten die Kleinen, die nicht bloß dumme Kinder sind, wie sie so mancher Leh­rer von oben herab behandelt, sondern auch lebendige Seelen in sich tragen.

Übrigens bin ich jetzt entschlossen, einen Theil meiner Ferien zu einem Aufenthalt bei Ihnen zu verwenden. Ich komme bestimmt von heute binnen 5 oder 6 Wochen, wahrschein­lich in der Woche vom 28. Juli an. Meine Frau redet mir zwar immer noch ab und traut dem Fanatismus nicht, sie denkt man werde in mir Ihren Teufel sehen; aber ich lasse mich nicht abwendig machen, und sollte ich ihr auch versprechen müssen, nur ein paar Tage in Schoppernau zu bleiben und dann nach Oberstorf zu Mayers zu gehen, denn Erholung brauch ich allerdings, nicht Anstrengung. Freilich rechne ich dabei so gut wie sicher darauf, daß ich Sie dann gleich mit nach Leipzig nehmen kann, denken Sie das auch noch? Viel­leicht können Sie nun nicht mehr? Mir liegt alles daran, mit Ihnen einmal persönlich einige Zeit zu verkehren und - Sie einmal aus Ihrer Enge heraus zu führen auf eine größere Bühne, daß Sie endlich einmal frei ins Weite hinaus sähen. Ihre Reisekosten würden höchstens etwa 24 Thaler betragen, wahrscheinlich weniger, und was Sie für Geist und Gemüth gewönnen, wäre nach meinem Gefühl unberechenbar. Neu­lich saß ich mit den Meinen und einigen Freunden hier in einem Concert, mitten im vollsten Kunstgenuß drinnen - da denk ich mir jetzt immer Sie anwesend, und das würzt mir erst den Genuß - und da war mirs klar, Sie müssen nun bald auch einmal an diesem Borne trinken, der Ihnen wie ein Jungbrunnen sein wird.

Von den Sonderlingen immer noch nichts öffentliches!! Doch ja, neulich eine Besprechung in der Dresdener Constitutionel­len Zeitung, unterzeichnet W. R., d. i. Fedor Wehl wie Be­kannte von mir wissen wollten. Sie war aber so albern, daß ich Sie gar nicht damit behelligen will, echt blasirt literaten­haft, vom hohen Pferde herunter auf den Bauer blickend. Jer. Gotthelf steht viel tiefer in den Ackerfurchen drin, hieß es z. B.! Diese Leute können gar nicht lesen, können Sie nicht lesen, sie drehen sich in einem bestimmten Kreise von ab­stracten Begriffen und Redensarten herum und haben dar­über den natürlichen Menschen verloren, den sie an Ihnen wiedergewinnen könnten. Mir war die Erfahrung schmerzlich, daß selbst Freytag etwas davon an sich hat. Ihr Aufsatz ist in den Grenzboten noch nicht erschienen, ich bin auch nicht wieder bei Freytag gewesen, will aber nächstens wieder hin­gehn. Nur Geduld, Freund, die Einsicht was Sie sind wird schon kommen, sie muß kommen, oder ich müßte an meiner Zeit verzweifeln, und das thu ich gewiß nicht mehr, das ist längst überwunden. In Privatkreisen hör ich übrigens immer wieder einmal von einem, der Ihre Sonderlinge verstanden hat, z. B. kürzlich vom Pastor Howard hier, dem Pfarrer der reformirten Gemeinde, der sich sehr warm darüber aus­sprach; auch meine Freunde helfen mir fort und fort für Sie wirken. Nur ehe ein Literat dazu kommen wird Sie gelten zu lassen, das wird hart halten! ja diese Leute sind ja Ihnen ge­genüber in einer ähnlichen Stellung wie Ihre Geistlichen dort! sie müßten bis auf einen gewissen Grad sich selbst preis­geben oder doch aufgeben, um Sie zu erkennen - und das ist von einem Menschenkinde nun einmal zu viel verlangt. Von Goschen dagegen erwarte ich das rechte Wort, wo es nur bleibt!

Übrigens ist es merkwürdig, daß Wien Ihre Sonderlinge eigentlich noch nicht kauft, wie mir Hirzels neulich sagten. Dafür wird es verhältnismäßig stark nach Innsbruck verlangt, auch nach Feldkirch, Lindau. Hirzel ist in Verlegenheit wegen einer 2. Auflage, weil er gar nicht sicher weiß, wie viel von den ä condition verschickten (auch nach London, Paris) nicht doch zurückkommen werden.

Aber nur guter Muth, Freund, es wird und muß noch alles gut werden. Auf Wiedersehn in 5 Wochen! Ich denke übri­gens in Schoppernau im Gasthaus zu wohnen, beruhigen Sie damit Ihre liebe Frau, die sich wol meinetwegen häusliche Sorgen machen wird.

Herzlich grüßend

Ihr R. Hildebrand.

Das Gedicht der Einsamen ist mir doch sehr interessant und meinen Freunden auch. Es steht ja aber Stasburg da? haben Sies aus Straßburg erhalten? Ich wills Ihnen im nächsten Briefe wieder mitschicken.

Keine