VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
553
10. Juli 1868

Lieber Freund!

Nach sehr langer Unterbrechung komme ich endlich dazu, wieder ein paar Zeilen an Dich zu richten, von denen ich hoffe, daß sie Dich in bestem Wohlsein treffen werden. Vor Joh. Jos. Felders eingesehenem Schreiben war ich dem Gerüchte gemäß der Mei­nung, Du weilest in jetzt zu Preusen gehörigen Ländern. Nachher habe ich in Erwartung der Entwicklung der Dinge, die da für mich kommen sollten, das Schreiben von Woche zu Woche verschoben. Du siehst, daß man wenigstens in Wien auch von Dir spricht, wirst wohl auch wissen, daß Du sogar Ehrenmitglied bist von Tiroler Verein in Wien. Die Vorarlberger sind in diesem dem Zwecke nach ganz löblichen Vereine so viel ich weiß nur durch Ehrenmitglieder vertreten, trotz aller Mühe der Tiroler, das Gegentheil zu erwirken. Der hauptsächlichste Grund dürfte wohl darin zu finden sein, daß die Vorarlberger zu jeder Zeit eine wohl schwer zu rechtfertigende Antipathie gegen die Tiroler zur Schau trugen, welche unseres Ländchens wegen sogar den projektirten Namen „Andreas Hofer Verein" aufgaben. Dann habe ich vernommmen, daß die thonan­gebendern Personen in höheren Kreisen zu sehr zu gefallen suchen. Mich haben die Verhältniße abgehalten einzutreten. Von den „Sonderlingen" zu sprechen, ist zwar schon wohl zu spät, doch glaube ich Dir wenigstens ein paar Worte auch jetzt noch schuldig zu sein. Mich haben sie sehr interessirt u. amüsirt. Die Sprache, besonders anfangs, gefällt mir besser als in „Schwarzo Kaspale". Wenigstens in Wien dürfte der Erfolg jedoch größer gewesen sein, wenn die Handlung u. Entwicklung spannender u. das Räsonnement weniger u. kürzer wäre. Eigensinn zweier Alten kann wohl in Wirklichkeit Verwicklungen u. Entwicklungen her­beiführen, für ein Buch, das nicht reine Geschichte ist, dürfte das aber vielleicht doch eine zu kleine Ursache sein. Trotz der sittli­chen Entpörung Franzen's hat vielleicht doch das Döcterle so ziemlich recht gehabt, wenn es die Leute als Producte der Verhält­niße auffaßte, wie dann später Franz allerdings selbst fast ganz zugiebt. Empfängnis, Geburt, anfängliche Erziehung u. Entwick­lung etc. ist wohl beinahe ganz Zufall. In entwickelteren Menschen bekämpfen u. modificiren sich allerdings dann gegenseitig Außen­verhältniße, Neigungen, u. der auf Erkenntniß (wirkliche oder eingebildete) basirende Wille. Den Menschen als einen frei walten­den Halbgott denken ist romantisch, aber wahr dürfte es nicht sein. Doch ist's sicher besser, wenn man sich für zu viel als zu wenig hält, insbesondere muß man in Lebensbildern sich über das Alltägliche erheben u. dem Idealen sich zuneigen. Siehst Du, da hat mich mein frei oder nicht frei entwickelter Geist schon wieder weiter gerissen, als er selbst anfangs wollte, er ist ein bischen in's Fahrwasser gerathen.

Nur noch wiederholend, daß mir im Übrigen das Buch, besonders die Charakterschilderungen sehr gefallen hat, will ich mir selbst zum Beweise, daß ich denn doch freien Wille habe, in diesem Briefe über diesen Gegenstand kein Wort mehr reden. Nach kurzer Innehabung einer Hofmeisterstelle im letzten Herbst (da Frau u. Zögling gefährlich krank wurden) habe ich seither von Lektionen nicht all zu glänzend gelebt u. nebenbei Physik u. Mathematik studirt. Unter mehreren Stellen, die ich zu erreichen einige Hoffnung hatte, ist mir eine man kann sagen glänzende Stelle durch die Finger geschlüpft. Bei Graf Althan, Mitglied des preus. Herrenhauses war mir trotz einer Unzahl von Bewerbern von der sonst Alles vermögenden Frau die Erzieherstelle schon wie zuge­sagt, als gleichzeitig vom Herrn ein Gymnasial Professor aufgenommen wurde, der ihm sehr empfohlen war. 1200 fl jährlich, freie Verpflegung u. 600 fl jährliche Pension nach 4 Jahren waren die Bedingungen.

So eine Stelle dürfte sich wohl schwer wiederfinden, sowohl in Bezug auf die materiellen Vortheile als auch aufs zu erwartende angenehme Leben während der Zeit.

Die unerwartete Enttäuschung hat mich aber denn doch nicht so sehr angegriffen, als es manchem in meiner Lage geschehen wäre. Mein so oft u. lang herumgeholperter Schicksalskarren hat auch die Haut schon ein wenig unentpfindlicher gemacht. Ob das bischen Leben der Zukunft nun ein wenig angenehmer ist oder das Gegen­theil, was liegt denn gar so viel daran? Der Gedanke an [Drappen-] fleisch trägt viel zu meiner gegenwärtigen u. wie ich hoffe auch zukünftigen Zufriedenheit bei.

Hast Du nicht Lust mit dem Felder Joh. Jos. das Schützenfest in Wien mitzufeiern? Mich würde es sehr freuen Dich hierzu sehen u. zu sprechen. Ich hoffe bald, wenn es nicht mündlich sein kann, doch wenigstens schriftlich wieder etwas von Dir zu vernehmen. Unterdessen bitte ich Dich beiliegendes Briefchen zu übergeben u. den Deinen, meiner Mutter u. Bekannten meine herzlichsten Grüße auszurichten. Dich vielmals grüßend

Dein Freund Franz Jochum

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