VON ENGELBERT KESSLER AUS WIEN

lfndenr: 
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19. April 1867

Geehrter Landsmann!

Längst eingeweiht von Ihren Talenten und rühmenswerten Bestrebungen las ich mit seltener Freude in der Gartenlaube eine Offenbarung an das ganze deutsche Volk über Ihr Wir­ken u. Wesen.

Bei dieser Gelegenheit fühlte ich mich wahrhaft beschämt, die Ehre der Einführung Ihres Namens in das große Publicum - die Ehre der Entdeckung, mir entgehen haben zu lassen, so sehr ich auch mir diese Angelegenheit zur Aufgabe machen wollte.

Daß gleich wohl - längst vor der unvergleichlichen Schilde­rung des Dr Hildebrand auch ich Gelegenheit nahm, Ihren Namen der Öffentlichkeit vorzuführen, möge Ihnen ein Blatt der Beamten Correspondenz beweisen, das ich Ihnen hiermit anschließe, wenn Sie nicht schon bereits im Besitze desselben sein sollten.

Aus den Schilderungen des Dr Hildebrand entnehme ich zu meiner Überraschung, daß Sie auch mit den socialen Schriften von Schulze-Deutsch u. Lasalle vertraut u. Ihren Einfluß auch auf diesem Felde zu bethätigen suchen; u. dieser Umstand ist es insbesondere, der mich bestimmt, ungesäumt diese Zeilen an Sie zu richten u. Ihnen einige Blätter und Druckschriften zu übersenden.

Eben habe ich meinem Gevatter dem kaiserl. Rathe Dr Berg­mann einen Besuch abgestattet u. demselben jene Nummer der Gartenlaube übermittelt, worin Ihr Leben u. Wirken so schön dargestellt wurde.

Welche seltene Freude dieser Mann daran genommen, dürfen Sie um so mehr versichert sein, als es ja einer Erscheinung desjenigen Ländchens gilt, das dem gelehrten Manne geistiges Eigenthum geworden.

Vorarlberg kann wahrhaftig stolz sein an dieser Größe seines Landes.

In Bezug auf die Andeutung des Dr Hildebrand, daß Dr Jos. Bergmann Ihre Correkturbögen zugesendet erhalte, erklärt mir der letztere, daß darüber ein Irrthum obwalten müsse, indem er nur im Besitze eines einzigen Schreibens von Ihnen sei.

Sollten Sie in Bezug auf Ihre Leistungen auf passende Art in die Lage kommen, dem kaiserl. Rathe einen Mirtenkranz zu flechten, so würde mich das nur freuen, ja Sie würden sich dadurch den Dank des Volkes ärnten.

Was mich betrifft, so bin ich erbötig, Ihnen in jeder erwünschten Richtung beizustehen, wogegen ich ersuche, mir von den Erfolgen Ihres Wirkens auf wirthschaftlich-socialem Gebiete von Zeit zu Zeit Mittheilungen zu machen, zumal ich mit verschiedenen Punkten der Monarchie in Verbindung stehe und der Gründung von Erwerbs- u. Wirthschaft-lnstitu­tionen Vorschub leiste. -

Wollten Sie mir Statuten Entwürfe u.d.gl. einsenden, so möch­ten Sie mich sehr erfreuen.

Ich bin eben im Begriffe eine Zusammenstellung der österr. Genossenschaften, deren Beruf u. Stellung in Österreich, zu schreiben u. befinde mich im Besitze des reichhaltigsten Materials.

Daß ich mich zu Ihrem Landsmanne zäle u. nur über dem Widdersteine /Walserthal:/ meine Heimat besitze, erwähne ich nur nebenbei.

Auch denke ich, daß sich auch Bauerleute geneigt finden dür­fen, Lebensversicherungen einzugehen.

Den billigsten Tarif bildet die von mir gegründete Lebensver­sicherungsanstalt des Beamtenvereines.

Ich denke mir, daß Ihr Lebensunterhalt in Etwas befördert werden könnte, wenn wir Ihnen eine Agentie übertragen. Die Geneigtheit zu diesem Antrage bitte ich mir bekannt zu geben.

Im Beamten Verein kann nämlich jedermann versichert wer­den.

Schließlich mache ich Sie auf die Schriften von Pestalozzi und Diesterweg u. Prof. Kletzinsky aufmerksam, wenn Ihnen diese in Ihrer umfassenden Belesenheit noch weniger bekannt sein sollten.

Weichen Sie nicht ab von Ihrer Bahn - lassen Sie sich aber ebensowenig verleiten Ihrer Einfachheit und Bescheidenheit ungetreu zu werden, um denjenigen Boden nicht zu verlieren, in dem Ihre Originalität und Fruchtbarkeit wurzelt. Grüßen Sie mir den hochverehrten Dr Feuerstein in Reute, wenn Sie Gelegenheit haben, denselben zu besuchen. Für diesen  Fall bitte ich ihm einen Geschäftsausweis des Beamten Vereines zu übergeben.

Dr Feuerstein kennt mich von meiner Kindheit an u. besitzt das meiste Verdienst, in mir ein Talent erkannt und durch mannigfachen Einfluß gefördert zu haben, obgleich meine Lebensrichtung nach einer ganz anderen Seite ausgeschlagen, als nach den ursprünglichen Wahrnehmungen zu vermuthen war.

Jedenfalls ist es eine herrschende Zeitrichtung in der ich mei­nen Beruf zu erfüllen trachte, nachdem auch ich mit selt­samen Erlebnissen zu kämpfen hatte.

Mit der Versicherung der ausgezeichnetsten Werthschätzung zeichnet Ihr aufrichtiger Landsmann

Engelbert Keßler

NB Dr Bergmann läßt Sie herzlich grüßen.

Keine