KASPAR MOOSBRUGGER AN FRANZ MICHAEL FELDER
Lieber Freund!
Dein letztes, so freundschaftliches Schreiben hat in mir verschiedene Gefühle wachgerufen, und ich will mich zuerst über die angenehmen aussprechen:
Ich bin erfreut darüber, daß Du Dich von der höhern Macht, in deren Dienst wir alle stehen, so ergriffen findest, daß sich ihr gegenüber das Gefühl des „Werkzeugseins" in so hohem Grade einstellt. Ich wünsche von Herzen, daß Du ein gutes Werkzeug seiest und bleibest und daß das Hochgefühl über die empfundene Harmonie Deiner Art und Weise mit der jener höhern Macht von der Intensivität und Wesensbeherrschung sei, daß es Dich von allen Disharmonie erzeugenden Akten bewahre und bewahren helfe. Mehr und Besseres glaube ich Dir mit Hinsicht auf den Erfahrungszustand, daß ein Gefühl der Disharmonie des Geschöpfs gegenüber dem Schöpfer umso schmerzhafter und zermalmender ist, je erhabener und reiner das entgegengesetzte Gefühl gewesen, nicht wünschen zu können. Dies der herzliche Wunsch Deines Freundes, der in beiden berührten Zuständen nicht unbewandert zu sein das Bewußtsein hat. -
Dein mitgeteiltes Gedicht ist, abgesehen von den zwei Sprachhärten im 13. und 22. Vers, recht flüssig, einheitlich, wahr und so poetisch, als es die Prosa der Wälderinnen nur erlaubt. Ich gratuliere Dir zu dem Erfolg. Das Rehmer-Lied hat eine bedeutende Verbesserung erhalten. -
Dies das Angenehme in der durch Deinen Brief hervorgerufenen Stimmung, und es bezieht sich glücklicherweise alles auf Dich. -
Was nun meine Angelegenheit betrifft, will ich vorerst objektiv zu bleiben trachten und das leidende und somit vielleicht parteiische Subjekt geziemend zuletzt sprechen lassen: Wenn schon der Mensch, den die Beschauung des Harmonischen der Weltordnung begeistert, vor sich so zusammenschrumpft, daß er sich als wesentlich dienend - Werkzeug erkennt, so ist dies in viel höherem Grade bei dem der Fall, der auch jenen Teil dieser Ordnung in der Wirkung auf sich kennen gelernt, welcher nur dann sich geltend macht, wenn der Mensch diese Harmonie verletzt hat. Ein solcher Mensch hat sich in einen Kampf auf Leben und Tod mit der höhern Ordnung eingelassen, und wenn er diese nicht freiwillig wieder anerkennt und nicht in absoluter Unterwerfung Sühne sucht und findet, so wird er nach den die Welt beherrschenden Gesetzen dieser Ordnung zermalmt, wie billig, denn die Harmonie soll und muß herrschen. Wer nun die höhere Ordnung in dieser ihrer äußersten, ich möchte sagen Executions-Tätigkeit erschaut und geziemend empfunden hat, der hat dann jedenfalls eine intensive und wesenbeherrschende Anschauung über das Werkzeugsein des Menschen. Er sieht, inwiefern seine Nichtigkeit wahr, aber auch nicht wahr ist. Jedenfalls aber wird er von der Vorstellung der Nichtigkeit beherrscht. -
Von diesen objektiven Sätzen, die jedenfalls nicht nach Deinem Geschmack sind, was ich aber hier nicht berücksichtigen kann, auf mich übergehend, finde ich geboten, dermalen folgendes zu bemerken: Als Ergebnis meiner eigenen Erfahrungen und deren Nutzanwendung habe ich das Streben, mein Ich in mir möglichst zu konzentrieren und in der äußern Welt, die mir besser geordnet erscheint als jenes, aus dem hienach natürlichen Grunde, weil ich ihr folglich nichts Besseres geben kann als sie hat, nicht mehr Änderungen herbeizuführen, als meine Art und Weise zu sein und zu wirken notwendig und somit eigentlich unverschuldet nach dem Gesetz der Ordnung, in dem wir stehen, von selbst mit sich bringt. Den Wert oder Unwert dessen, was von mir ausgeht, bin ich daher geneigt nicht nach meiner hierüber gebildeten Meinung, sondern nach der erkennbaren Wirkung in der Außenwelt zu bemessen und glaube dann hievon den Maßstab für das weitere Handeln nehmen zu sollen. Um nun mich im Verhältnis zu Isabella Simma richtig zu würdigen, habe ich dafür gehalten, die Wirkungen meines Umganges mit ihr in ihr besehen zu sollen und von dorten die Norm für mein weiteres Vorgehen zu holen. Dies und nichts anderes habe ich auch getan und dies spricht auch mein letzter Brief aus. - Ich kann nicht begreifen, wie man nach richtiger Lesung dieses Briefes noch im Unklaren sein kann. Ich habe ihr doch klar gesagt, in welchem durch sie bedingten Verhältnis ich zu ihr stehe und wie ich anderer Richtung folge. - Ich setze bei der Entschiedenheit des Urteils, das Du über mich fällst, voraus, daß Du diesen Brief gelesen hast, denn ohne nur einigermaßen in den Sachverhalt Einsicht genommen zu haben, wirst Du denn doch nicht über Deinen Freund so urteilen. Die Forderung, die Du an mich stellst, ich soll ruhig überlegen, die, finde ich, hätte somit auf Dich mehr Anwendung. Daß eine ruhige, verständige Überlegung bei Isabell Simma sich sobald nicht einfinden werde, das habe ich schon längst gefürchtet, dabei aber erwartet, sie werde mit Hilfe des Ratgebers, Kurat und eines andern, schon dazu kommen, und habe diese Erwartung noch. Von Dir aber hatte ich die Meinung, Du wärest über einen ähnlichen Subjektivismus erhaben. Jeder unparteiische Mann, der meinen Standpunkt im geringsten nicht kennt, der der Isabella aber schon lang und Dir wenigstens jetzt bekannt ist, muß aussprechen, daß jener Brief, um Deinen Ausdruck zu gebrauchen, ein „Absagebrief" ist, nur kein grober und schroffer. Eine zartere Behandlung dieses Gegenstandes schien mir die reizbare und tieffühlende Natur dieses Mädchens zu fordern. Übrigens habe ich vorher schon genug gesagt und getan gehabt und dieser Brief wurde nur geschrieben, weil ich am Osterdienstag, als ich ging, wider Vermuten gewahrte, daß sie noch nicht in der richtigen Fährte ist. -
Daß ein auf mich bezüglicher Artikel einmal in der Innzeitung gestanden hätte, davon weiß ich nichts, wohl aber stand einmal eine bezügliche Notiz darin, die auf einem Mißverständnis beruhte und worüber ich mit mir zu Rate ging, ob ich eine Injurienklage überreichen soll, wobei ich's aber vorzog, die Sache als zu unbedeutend und, weil eigentlich ich gar nicht benannt war, auf sich beruhen zu lassen. Was ich nun aber von mir und weiter oben in den objektiven Sätzen gesagt habe, das hat folgenden Zusammenhang: Ich traue meinem Ich als solchem nichts, selbst in den sogenannten Liebes- und übrigen Neigungen (diese haben nur insofern Geltung, als ihre erkennbare Wirkung sie rechtfertigt). Mich beherrscht die Vorstellung von der Nichtigkeit des Ich. -
Ich glaube, mich nun auf Deine freundschaftliche Aufforderung redlich gestellt zu haben, und ich hoffe, Du werdest Nachstehendes nicht verübeln. Ich entnehme aus dem Zittern und Beben, womit Du Deine Sache vorträgst, daß Du es herzlich gut mit mir meinst, auch appellierst Du mit einem Vertrauen auf meine Freundschaft, daß ich mit der gleichen Appellation an die Deine meine Bemängelung offen ausspreche: Ein Mann von entschiedener, wohlbegründeter Meinung soll seinem Freunde gegenüber stets mit offenem Visier auftreten. Du hast gegen mich Beschwerden, gut, Du hältst sie für begründet, gut, - fordert es nun nicht das gemeine Rechtlichkeitsgefühl, daß Du die Gründe der Anklage vorlegst? Worauf fußt die Klage, daß ich mit I. S. spiele, was hat sie denn gesagt, was hast Du aus meinem Brief herausgelesen oder woher sonst kommt diese Meinung? - Du sprichst weiter von einer Krisis, - was ist das für eine Krisis? - Ich erscheine beschuldigt, sie herbeigeführt zu haben, soll man mir nun billiger Weise nicht sagen, worin sie bestehe und warum ich verantwortlich bin, denn offenbar bin ich, wenn ein Verschulden meinerseits obwaltet, zu Genugtuung verpflichtet? Doch ich merke, daß ich mich zu fest auf meinem Standpunkt einzuwurzeln im Begriffe stehe. Dein Vorgang und Verfahren ist ganz anders als juristisch angelegt und ich versichere Dich, daß Deine durchweg ersichtliche edle Absicht und schöne Handlungsweise mich innigst gerührt hat. Daß Du mein Verhältnis nicht richtig gewürdigt hast, dafür kannst Du nicht. Du bist ein zu guter Mensch und hast noch zu wenig von dem Baume der Erkenntnis gegessen, als daß Dir die wahre Einsicht in derlei schneidige Sachen sogleich zu Gebote stünde. - Welchen innerlichen Schmerz ich wegen der Isabella schon gehabt habe, das weiß nur Gott. Dir erscheint's als Spielerei, Du bist mit dieser Auffassung gerechtfertigt; - mich wird hoffentlich der Schmerz rechtfertigen. - Doch genug, mehr als genug, ich schließe und hab nur noch die Bemerkung, daß ich selbst daran zweifle, ob Du die Botschaft der Isabella richtig erfaßt habest, denn ich glaube eher, daß der Sinn ihrer Worte, wenn sie offen sprach, der war: „Wenn ich nicht hätte wollen, daß es bei ihr so stünde, so würde ich es anders gemacht haben." -
Ich danke Dir für die freundschaftlichen Eröffnungen und hoffe, Du werdest in Deinen stets wohltuenden Freundschaftsbezeugungen fortfahren. Dein Freund
Kaspar Moosbrugger.