FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
315
16. April 1867

Lieber Freund!

Dein letztes Schreiben hab ich nicht ohne Bewegung gelesen. Du bist besorgt wie genau vor einem Jahr, wie Du Hilde­branden den Erbärmlichen nanntest und mir seinen ersten Brief mit einem Begleitschreiben zuschicktest, welches mich nur als ein Beweis, ein Ausdruck Deiner Freundschaft freute. Der Sozialdemokrat hat den Grundsatz, immer da hinauszuspringen, wo eine Lücke offen ist, aber nicht der Lücke, sondern der Freiheit wegen. Kann ich dafür, wenn ein Keil aus dem, was er von mir hörte, nun macht, was er will. Ich habe gesagt: Sein Blatt, die Gartenlaube, hat mich zuerst auf unsere Kulturschätze aufmerksam gemacht. Hab ich denn das nicht an Hildebrand schreiben dürfen? Was kann ich, was kann er dafür, daß Keil das für sich so nimmt, wie er - der Händler - es braucht? Wenn Goethe jede falsche Auslegung hätte berichtigen wollen, würde sein Wirken bald nur noch ein Kampf mit Verehrern, Gönnern und Gegnern gewesen sein.

Ich traue der deutschen Kritik zu, daß jene Notiz, die auch uns ärgerte, schon nach dem Erscheinen der Sonderlinge berichtigt wird, sonst allerdings müßte ich selbst es tun, aber, Freund, erst wenn ich einmal so viel Boden hätte, daß meine Berichtigung nicht mehr lächerlich wäre. Ich werde mich von jedem unterstützen lassen, kann auch jetzt noch nichts machen, wenn er's auf seine Weise tut, aber meine Werke sollen erzählen, wer und was ich bin und nicht bin. Zur Illustration der jetzigen Lage übersende ich Dir erstens einen Auszug aus einem Schreiben des Dichters Scheffel über das Schwarzokaspale und seinen Verfasser, zweitens eine Notiz aus dem ersten wissenschaftlichen Blatt Englands (Du kennst es aus der Allgemeinen), das Du Dir vielleicht übersetzen lassen kannst. Es soll das sagen, was das Augsburger Blatt sagte. Drittens einen Brief Hildebrands, aus dem Du siehst, daß er selbst mit Keil übers Kreuz ist, und auch manches andere könntest Du darin sehen. Die Stelle, deren er zuletzt gedenkt, lautete in meinem Briefe beiläufig so: „Unsere Leihbibliothek gedeiht und macht mir mächtige Feinde. Ich danke dem Himmel, daß er durch Sie mich aus der Enge führt und mir Boden für mein Tun schafft, denn die gemeinen Mittel der Gegner haben schon manchen, der den Kampf allein führen wollte, herabgedrückt und zum Sinken gebracht. Ich aber stehe, gottlob, fest, kann mich an andere halten, und andere halten sich auch an mich." Ich glaubte, Dir diese Stelle gleich mitteilen zu sollen, obwohl ich eigentlich Deine Warnungsrufe nicht fürchte, sondern von Herzen wünsche, da ich oft fühle, wie nötig sie mir sind. Das ist heilige Wahr­heit, und nun denke Dir, was man aus dieser Stelle wieder machen könnte, wenn man gewisse Zwecke zu erreichen glaubte. Ich kann einmal keine Geschäftsbriefe schreiben, weder an Dich noch an andere. Wo mein Inneres nicht beteiligt ist, schreib ich gar nicht.

Eigenheiten bleiben haften, Drum kultiviere Deine Eigenschaften.

(Goethe)

Den Tannberger Aufsatz wird Keil für die Gartenlaube zu lang gefunden haben. Mich hat's, wie Hildebranden, geärgert, daß Keil so eigenmächtig verfuhr. Laß mich nur einmal fest stehen, dann werde ich mit ihm rechnen. Wenn Hildebrand recht hat, werde ich das bald können. Jetzt muß ich mir noch den erbärmlichen Spruch: Klimpern gehört zürn Handwerk, gefallen lassen.

Das zur Klarstellung und hoffentlich zur Beseitigung des Miß­trauens, das mir denn doch einesteils ein bißchen weh tut. Vor vierzehn Tagen hab ich einen Artikel „Heilsgeschäfte" an Hildebrand geschickt, aber wie die Sachen jetzt stehen, ist's zweifelhaft, ob er in die Gartenlaube kommt. Er be­handelt, wie der Titel sagt, die Heilsgeschäfte und ihre dazu abgemalten Diener, den Gebet- und Meßhandel; die Lohn­wallfahrterin, das Auftreten eines für alte Bücher Reisenden, wie wir es hier sehen mußten. Das Heilsgeschäft ist dort nicht halb so gemein dargestellt, als unser Pfarrer es am letzten Sonntag illustrierte, doch davon vielleicht später, ich darf mir durch diese Herrn und ihre Erbärmlichkeit die Stimmung nicht verderben lassen, nicht mit ihren unglaublich elenden Waffen, sondern in und mit Deutschland will ich sie be­kämpfen. Du kannst Dir nicht vorstellen, was es hier zu erleben gibt. Durch das ganze Land hat die fromme Partei mich als den Verfasser der Klarstellung und einer Schrift, die gar nicht einmal gedruckt werden durfte, an den Pranger stellen, mich begeifern und ganz Schoppernau mit Ausnahme von drei Männern, Rößlewirt, Greber und einem Schnepf­auer, verdammen müssen. Ich stehe trotz meinem Anhang oft allein und muß wahrlich froh sein, daß ich anderwärts Boden gewinne. Wer weiß, wie ich bin, wird sich mit mir freuen. Hier sind die Leute noch nicht reif. Ich bin froh, daß sie einmal gerüttelt und gesondert werden, ihnen schadet's nichts, und ich werde anderwärts aufstehen, wenn ich hier sinken sollte. Ich kann das Hetzen der Schwarzen bisher nicht begreifen. Es ist, ob schon ein Sturm aus den Sonderlingen sie angeweht hätte.

Doch für heute nichts mehr, als daß ich auf dringendes Anraten meiner Freunde an die Türe meines Arbeitszimmers ein besseres Schloß bekommen mußte. So ein Schloß ist zuweilen gut, um Vorkommnisse wie die Entwendung der Schriften in Bezau zu vermeiden. Mit Frau Feurstein bin ich nicht zufrieden. Ich bin erst jetzt froh, daß ich Dir im Herbst nicht folgte, als Du mir befahlst, dem Mann Deinen Brief zu schicken.

Dem Artikel Hildebrands muß ich etwas lang entgegensehen. Jedenfalls ist er gut gemeint; aber wie wird sich das äußern? Nun, man wird sehen. Ich betrachte alles eben als Ereignis, erwarte auch von Dir das Beharren auf dem Standpunkt der Objektivität. Da ist's möglich, sogar vom Autodidakt gelassen zu lesen und zu bemerken, daß Keil denn doch nicht ganz deutlich zu sagen wagte, was er eigentlich sagen wollte, Dir scheint das entgangen zu sein, sonst würdest Du mich nicht zur Rechenschaft gezogen haben, besonders da ich Dir schrieb, ich hätte damals, als jene Nummer 10 erschien, mit Keil noch gar nicht verkehrt, daher von jener Anfrage nach meinen Bildungsmitteln noch gar nicht die Rede sein konnte.

Ob Hildebrand durch Deinen Rechtsstandpunkt darauf kam, Dich ein Original zu nennen, ist eine Frage, die ich nicht zu beantworten vermag. Mein jetziger Roman hat in der Form eine Änderung des ursprünglichen, künstlerisch allzu freien Planes erlebt. Ich bin begierig, was daraus werden wird. Von ändern Plänen ein anderes Mal und auch von der Vieh­versicherung, deren Statuten wir erst erhalten und noch nicht durchgelesen haben. Moosbrugger, der alte Vorsteher, ist für die von mir begründete Assekuranz. Meine Meinung sollst Du das nächste Mal hören. Ich möchte mein Werk einem besseren größeren gemeinsamem opfern, das ist mein Stand­punkt, von dem aus ich mein hausbackenes Urteil loslassen werde.

Die drei Beilagen, womöglich mit einer Übersetzung von Nr. 2, wirst Du mir bald mit Antwort und Urteil zurück­schicken. Über die von Hildebrand erwähnte Reise hab ich noch nichts beschlossen. Sie setzt vor allem eine zweite Auflage der Sonderlinge voraus, die H. bestimmt in Aussicht stellt. Jedenfalls war's mir angenehm und erfreulich, mit ihm zu reisen und wohl manche werte bedeutende Bekanntschaft zu machen. Ich lasse jetzt das alles kommen und arbeite unterdessen getrost und unbekümmert um den Staub, der aufgewühlt wird. Nicht die Krittler und Lober, ich selbst muß mir ein Denkmal setzen oder ich will gar keins. Beschäftigung und der Umgang mit den Musen beruhigt mein Gemüt, wenn die böse Welt den Bauern auf Abwege lockt und seine Leidenschaften weckt. Das ist mein Gottesdienst, meine Welt. Ich bin nicht wie Du, aber immer mit Brudergruß und Hand­schlag Dein Freund

Felder Schreibe bald!

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