FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER
Geliebter Götte!
Heut feiere ich den ersten Geburtstag meines Mikle, denn diesen Namen soll das Kind dem Gottle und der Großmutter zu Ehren erhalten, sobald der Pfarrer Zeit hat, es zu taufen. Beim Mittagessen saß das Wible noch mit uns am Tische, dann sagte es: „Jetzt geht's los" - und richtig! Drei Minuten später hörte ich den Wehlaut, mit dem wir Schmerzenskinder dieses Jammertal zu begrüßen pflegen. Die Hebamme kam natürlich zu spät, und während sie nun in der Stube sitzend die erbaulichen Register von schnellen und langsamen Geburten herunterorgelt, hat Dein Freund alle ihm noch zur Verfügung stehenden Leibs- und Seelenkräfte zusammengenommen und sich wieder einmal in sein Zimmer geflüchtet, um sich da doch auch wieder einmal zu erplaudern. Im Ofen brummt und prasselt das Feuer, alles wäre wie sonst, nur ich?
Ich bin herabgekommen Und weiß nicht wie.
Mit meiner Besserung geht's zuweilen langsam, zuweilen gar nicht. Die Galle, von der Du schriebst, habe ich ohne ärztlichen Befehl nun herauspurgiert, und man sollte glauben der Magen könnte nun zufrieden sein, aber das Ding geht noch nicht gut. Wäre nur besseres Wetter, daß ich hinaus könnte, aber das stürmt und macht ein Gesicht wie der Dezember, und so habe ich denn beinahe keine Unterhaltung, als die des Lesens und Schreibens. Auf Deinen letzten Brief, gegen den ich nicht viel einzuwenden habe, werde ich Dir später antworten, und zwar mündlich! Jetzt fühle ich mich nicht aufgelegt, von meinem früheren und jetzigen Seelenzustand zu reden. Jetzt sind die Bibel, Goethe und die Alten meine Unterhaltung. Die besten Stunden werden den Sonderlingen gewidmet, einem Werke, das Dir beweisen wird, daß ich meine Landsleute nicht erst wieder lieben lernen muß, wenn ich auch für ihre Fehler nicht blind bin. Wenn ich dann und wann mich beklage, daß die Schoppernauer Gesellschaft nicht ganz nach meinem Geschmack sei, so ist das doch wohl noch kein Tadel der Schoppernauer. Es geschieht hier manches, das - zu lächerlich ist, um traurig zu sein. So weiß ich z. B. nicht, wie ich diesen Monat herumgebracht haben würde, wenn nicht der Streit wegen der sechs gefangenen Rehe, wovon zwei sogleich zugrunde gingen, mir so viel zu lachen gegeben hätte. Zuerst hieß es: die gehören den Fängern
dann den Pächtern des Forsts
dann dem Forst
dann der Armenkasse
und liegen sie sich alle in den Haaren.
Das Gericht scheint ebenfalls nicht recht Bescheid zu wissen. Was sagst Du? Was steht im Gesetz? Die vier noch lebenden Tiere wären um 80 Fl. Ö. W. verkauft, aber man läßt sie nicht fort, und meine armen, glücklichen, unglücklichen Vettern müssen sie - vermutlich zum Fangenlohn - füttern, ohne zu wissen „für wen". Ich wenigstens wünschte nicht, solche Kostgänger zu haben, meine Kühe werden mit dem im letzten Sommer gewachsenen Futter fertig, lang eher als mir lieb ist, und doch wird schon jetzt für einen Zentner Heu mehr als ein Kronentaler bezahlt. Ich und die Deinigen werden mit unserem Vieh vermutlich „auswärts" fahren. Wenn ich im letzten Brief meine Verwunderung über die Duldsamkeit unserer Regierung gegen den Sozialdemokrat aussprach, so geschah dies, weil ich meine, man könne dieses Blatt verbieten, ohne ein Gegner Lassalles zu sein. Ich zweifle, ob ihm selbst das Blatt gefallen würde. Nach ihm sollen die Arbeiter sich an keine Partei anschließen, der Schulze-Bastiat gefiel mir außerordentlich, aber die Schimpfereien dieses Blattes werden zuweilen etwas - unerquicklich. Und unsere Stüblegesellschaft, unser Klub im Rößle ist nun dahin; Isabell heiratet zu Ostern ganz bestimmt; der Kurat Stöckler ist heute für immer nach Hirschegg abgereist und Dr. Waiser wird uns am 1. Mai verlassen und nach Lingenau gehen. Nun steht der Ritter von Holz einsam wie der letzte Mohikaner, von Weibern gefangen, - seiner Freunde beraubt. Wie ich eben vernehme, hätte man sich nun wegen der vier Rehe geeinigt. Die Fanger müssen an die Forstpächter 60 Fl. zahlen. Nun laß Dir noch etwas von unseren Schullehrern erzählen. Als die Rehe gefangen waren, kamen die drei Auer und der Schoppernauer zusammen und berieten, was sie als die Gebildetsten in dieser Sache zu tun hätten, und das Resultat der langen Beratung war jener von allen vieren ausgekopfte Artikel in der Landeszeitung, den man seltsamer Weise hier für meine Arbeit hält.
Die letzten Sonntag vom Kurat gehaltene Abschiedsrede soll ziemlich bitter gewesen sein: vorzüglich soll er gegen gewisse Frömmelnde, Schwätzer und Schwätzerinnen losgezogen sein. Der neue Kaplan in Au ist schon sehr beliebt, aber Feßler in Schnepfau dürfte nach allem, was man von ihm hört, den Namen eines Zeloten viel eher verdienen, als der Pächter des Schoppernauer Forstes (siehe Landeszeitung). „Da ist Rüscher schon ein anderer."
In der allgemein gelobten ,Romanzeitung' ist sehr viel Gewöhnliches, entweder gar nicht Spannendes oder Überspanntes. Letzthin las ich einen Roman von dem sehr bilderreichen Rothenfels und hätte fast Lust gehabt, eine Blumenlese von Sätzen wie Kap. 2: „Die Stille hallte von dem Hundegebell" u.s.w. vorzunehmen und im Punsch herauszugeben. Das wäre so gerade eine meiner damaligen Stimmung entsprechende Arbeit gewesen; und eben darum habe ich damit sogleich wieder aufgehört. Vilmars Literaturgeschichte habe ich nun zu Ende gelesen. Es ist erstaunlich, wie dieser Mann die Sprache zu benützen weiß. Die Abhandlungen über das Nibelungenlied, Fleming, Gryphius, Goethe sind ausgezeichnet, während bei Wieland, Thümmel und den Fablern und Satirikern nur das Fehlerhafte hervorgehoben wird. Mein Wible ist hudelwohlauf, es liegt im Bett und schwitzt, das Mikle trinkt, daß es eine Lust ist. Das Kind scheint mir Ähnlichkeit mit dem Kaspale zu bekommen. Ich wünsche von Herzen, daß auch bei Euch alles so gut vonstatten gehen möge. Den Weibern kam ein Mädchen sehr erwünscht, und auch mir ist es recht, obwohl ich nicht meine, daß alles nach meinem Kopf gehen müsse, und auch an einem Buben meine Freude gehabt haben würde. Leb wohl! und erfreue bald mit einer Antwort Deinen
mit Schnee umgebenen, von Heukummer geplagten, abgemagerten, nur in der Treue starken Freund
Franz M. Felder.