FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
113
19. März 1864

Geliebter Freund!

Beinahe ein Vierteljahr lang hast Du Dich mit einem Räuber und Dieb beschäftigt, nun kommt Dein alter ehrlicher Freund und bittet Dich, ihm auch ein Viertelstündchen zu schenken. Wirst Du, wenn er Dir von seiner Dorfgeschichte oder eigentlieh einer Rezension derselben erzählen will, ihm diese Bitte nicht versagen? Ich glaube nicht.

Es scheint beinahe, ob ich dazu verurteilt worden sei, von des Geschickes Mächten, von Ärzten geplagt zu werden. Vor 23 Jahren hat mich ein Arzt, nachdem er sich etwas zu viel zu Gemüte geführt, um das eine Auge gebracht, und jetzt will ein anderer schon zum voraus Dornen und Stinkkraut*) sammeln, um den noch sehr fraglichen Kranz von wälder­strumpfweißen Kirschblüten und Alpenrosen damit zu um­geben.

Die „recht freundliche und anerkennende" Besprechung des Herrn Vonbun in der Landeszeitung Nr. 29-30 habe ich mit gebührender Geduld und Aufmerksamkeit gelesen. - Mit Rezensenten bin ich dort, wo das Geld Wohlstand bringt, vorbei und nach einigen Kreuz- und Querzügen als Herr Felder in den Stall, wo ich gern etwas länger geblieben wäre; aber um nicht allein sein zu müssen, ging ich wieder mit den ändern, mich darüber verwundernd, daß mein Ge­sellschafter, an das hellere Lesezimmer gewöhnt, auch nur eine halbe Minute in den Stall mochte, nur um über die schuldlosen Freuden armer braver Leute zu spotten. Warum ich nichts davon hörte, als der Müller die Nachbarn „zusammenrief", weiß ich wahrhaft nicht. Als Arzt könnte mir Herr V. es vielleicht sagen, wenn ich nun bei ihm wäref Nun aber kommt es wieder besser und Herr V. tut mir die Ehre an, 21 Zeilen aus meiner „Lebensbildlichen" abzuschrei­ben. Ich muß ihm hier gestehen, daß ich sein Talent, alles zu seinem Zweck zu benützen, nur bewundern kann. Alles nämlich, was ihm paßt und was ihm nicht paßt, benützt er letztens, indem er es nicht - benützt.

Nun weiter: .. . Doch - wir sind jetzt weit genug, denkt Herr Vonbun, indem er seinen Freund Hagen sieht und läuft zu ihm, um ihm von mir zu erzählen und mich, wie die Wälder sagen und wie das auch weit hinten in Schruns Sitte

*) Stinkkraut - den  lateinischen  Namen  laß  Dir von einem ändern  mit­teilen, es ist eine Wälder Gartenblume.

zu sein scheint, ein wenig durch die Hechel zu ziehen, wobei er sich aber hütet, ihm meine einfältiglichen Worte anzu­führen.

Von dem Verfasser einer „nützlichen Novelle" erwartet man nicht ganz mit Unrecht, daß er auch seine eigenen Erfahrun­gen zu benützen und ihnen, wenigstens wo möglich, gute Lehren für die Zukunft abzugewinnen wisse. Ich will mich nun hierin nicht rühmen und erwähne dieses nur, weil ich eines Vorsatzes gedenken muß, den ich gestern von neuem wieder gemacht habe. Nämlich: Nie mehr etwas zu tadeln, ohne zu sagen, warum. Diesem Vorsatz so viel als „möglich" treu bleibend, fahre ich unter Anrufung Deiner Geduld und zur Ehre der Wahrheit fort im zweiten Teil. „Um recht aufrichtig zu reden, bedaure ich, daß ich im ganzen Buche keine einzige Sage fand." ­Der Mensch kann zuweilen in ganz wunderliche Verhältnisse, Stellungen und Lagen kommen. Wenn Herr Vonbun das Unglück? gehabt haben sollte, den 5. und 6. Bogen meiner lebensbildlichen Dorfgeschichte zu - verlieren, so würde ich das um so mehr bedauern, weil recht bösdenkende Leute durch obige Stelle leicht zu dem Aberglauben gebracht werden könnten, Herr Vonbun wolle in Vorarlberg nur etwa 33 Sagen als solche gelten lassen.

Die Belehrung, daß die Streiche des Schwarzhannes keine Sagen genannt werden können, werde ich einstweilen ganz gut aufbewahren, bis einmal irgend woher einer kommt und sie mitnehmen will, für mich selbst brauche ich sie nicht! Herr Vonbun hat, das glaube ich fast, die beiden Bogen, wie noch mehreres, gar nicht gelesen, und dazu hatte er natürlich das Recht sowohl als ich das Recht haben würde, sogleich mit Schreiben aufzuhören.

Sagen (wenigstens etliche) finden sich nach meinem und anderer Leute Dafürhalten Seite 76 - 77 - 79 - 85 und 92. Die Lieder sind natürlich gut und neu, weil nicht ich sie ge­dichtet habe. Es sollte daher Rezensenten lieb und recht sein, daß im ganzen Buche mehr gesungen (Seite 13 - 30 - 33 - 85-108-122 und 180, also sieben Mal) und gesprochen als geschildert und dargestellt wird. Von Letzterem später, denn ich möchte noch gerne wissen, warum die Ünscho Herrn Vonbun nicht hoch genug war, so daß er sie noch um 1000 Fuß höher machen wollte? Dem so schmerzlich be­klagten Mangel an Naturschilderung wird nach meiner An­sicht dadurch nicht abgeholfen. - Die ebenfalls schmerzlich vermißte Frauentracht fehlt denn doch nicht ganz. Seite 87 ist davon die Rede, denn, das muß ich hier noch in „auf­klärender Weise" bemerken, ich wollte sie am Sonntag zeigen, weil die Werktagsjuppe ziemlich rot und farblos ist und etwas Stallgeruch fast nicht zu vermeiden gewesen wäre. - Die Strümpfe sind Seite 87 nicht kirschblüten - sondern schneeweiß. Das Flachshaar freilich, welches Herr Vonbun durchaus haben will, fehlt meinen Frauengestalten so wie auch vielen Hinterwälderinnen, nicht aber das Schappale. Seite 221 ist das lebensmutige Mikle damit geschmückt. Wohl ihm, denn mit reinem Herzen, würdig des Schmuckes der Jungfrau, geht es an Kaspales Seite dem schönsten Glück entgegen. Weitläufige und oft wirklich prachtvolle, - aber etwas übertriebene Schilderungen findet man im Oppermann, sogar rote Strümpfe findet man dort, welche ich Kurzsichtiger aber noch nie „erschielt und erspäht" habe. ­Die Schilderung der Landschaft dürfte denn doch nicht ganz fehlen, aber es wird Herrn Vonbun damit gegangen sein, wie mit den Sagen, den Strümpfen, dem Schappale u. a. Daß viel gesprochen wird, bemerkt Herr Vonbun sehr richtig, und es wäre hier der Ort gewesen, zu sagen, ob der Dialog die Handlung fördert, ob überhaupt die Personen gehörig charakterisiert und dergleichen, denn es ist nicht zu leugnen, daß man die in „bukolischer Natürlichkeit" dastehenden Wälder aus ihren Reden und Selbstgesprächen am besten kennen lernt. Kurz, es ist richtig, daß viel und vielleicht zu viel gesprochen wird, Herr Vonbun hat hierin ganz recht und ich bin überhaupt - etwa das vorhin Erwähnte ausgenom­men - mit seiner Kritik ganz einverstanden. Ich werde nun hier in Schoppernau den ,Frohnhof aufzutreiben suchen, um zu sehen, womit ein „feiner Satiriker" mein Werkchen vergleichen würde. Zwar erwarte ich nichts Gutes, doch das ist nur ein Vorurteil. „Komm und sieh!" sagte einst einer, als ein anderer fragte: „Ob von Nazareth auch etwas Gutes komme". O eine schöne Antwort! So schön, daß jedem durch Vorurteile Hintangesetzten zu wünschen wäre, auf solche Fragen so antworten zu können. - Das ist nun so bei­läufig, was ich über Herrn Vonbuns „anerkennende" Bespre­chung zu sagen hätte. Doch es ist vieles aus derselben zu lernen. Die Sprache z. B. übertrifft die im Nümmamüller bei weitem an Feinheit und noch mehrerem. Eine Wäldersage muß ich Dir noch erzählen. Es war ein Einsiedler, der lebte fromm in seiner Hütte und hatte nichts als einen Pfeil und Bogen, mit dem traf er alles, wonach er schoß. Aber nachdem er einmal einen bei seiner Hütte Vorbeigehenden angelogen hatte, traf sein Pfeil nicht mehr, sondern kam gleich zurück und tötete den Einsiedler, weil Gott diesen nicht in der Sünde leben lassen, sondern mit dem Tode bestrafen wollte. Als einen Sagenfreund könnte es Herr V. nur freuen, wenn Du ihm dieselbe mitteilen würdest. Sollte er Dich fragen, ob und wie ich mich über seine Kritik geäußert habe, so kannst Du ihm meinetwegen etwas oder viel oder alles, was ich hier geschrieben habe, mitteilen. Daß ich meinen „Wälder­humor" nicht verlor, glaube ich Dir durch diese Zeilen einigermaßen bewiesen zu haben. Etwas Galle hat mir an­fangs die Stelle von den „Sagen" gemacht, aber jetzt freut mich gerade diese Stelle am meisten.

(Einen Tag später)

Ich habe nun den Frohnhof durchblättert und finde es jetzt begreiflich, daß ein feiner liebloser Satiriker in einem ähn­lichen Werke manches übersieht.

Lebe wohl und teile mir gelegentlich mit, ob Herr V. seine Sprache auch dann, wenn sie andere redeten, nicht beleidi­gend finden würde.                                                       

F. M. Felder.

Keine