FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
85
22. Mai 1863

Teurer Freund!

Schon wieder ein Brief? Der Mensch muß doch viel übrige Zeit haben! Vielleicht denkst Du so - aber ich denke anders: Die Zeit, die ich dazu verwende, meinem Freund zu schrei­ben, ist ja keine verlorene. Wenn Du da wärest, ich würde manches Dir zu erzählen haben, sintemalen und alldieweilen Du aber nicht da, benütze ich jede Gelegenheit, Dir einige, wenn auch kohl- und tintenschwarze Worte zuzuschicken, und eine solche Gelegenheit bietet sich mir jetzt, da mein Freund Kaspar Oberhauser eine kleine Reise machen will, auf welcher er auch Bludenz und Dich zu besuchen im Sinn hat.

In meinen letzten Briefen habe ich Dir manches von der Auer Weltlichkeit geschrieben, es ist daher bloß billig, daß ich heut auch einmal etwas von der Geistlichkeit erzähle. - Es war vor etwa drei Wochen an einem Sonntag abends um halbe zehne, da ging der Herr Akurat (leider verdient er diesen Namen, wie Du bald hören wirst, nicht mehr), also da ging der Herr Kurat von Leousa mit dem Lehrer von Rehmen heim. Als sie an der Fluoh herauf gingen, klagte der Kurat:

 

„Ich habe recht grausamen Hunger,/
Und gestern ward, weiß ich gewiß, /
Ein Widder geschlachtet, ein junger;/
O, hätt' ich ein Stück, samt Gemüs!"//

„Ja!" rief auch der Lehrer voll Wonne,/
Und beide nun eilten zur Sonne.//

„Nun bringt uns geschwind was zu essen/
Vom Widder!" So rief der Kurat./
„Und bringt uns auch Bier unterdessen",/
Der Lehrer gar demütig bat.//

Drauf geht der Wirt in den Keller,/
Und auch in der Küche ward's heller.//

Da wurde gefeuert, gebraten/
Der Braten für Herrn Kurat./
Der dachte: Jetzt ist's dann geraten,/
Und mächtige Schlucke er tat.//

Der Lehrer war fröhlichen Mutes,/
Denn Bier hat der Sonnenwirt gutes./

Der Mond stand am Himmel in voller,/
Noch selten gesehener Pracht,/
Indessen der schreckliche Boller/
Am Fenster des Sonnenwirts wacht.//

Es hat schon geschlagen die Stunde,/
In welcher er machet die Runde.//

Er blinzelt ganz ernst durch die Scheiben/
Und hat auch die Herren gesehn./
Die haben bald aus, was nützt's Treiben,/
Sie werden von selber bald gehn.//

So dacht er und könnt nicht ermessen,/
Daß diese nur kamen - zu essen.

Es schlug elf Uhr, noch immer saßen die ersten von Rehmen da, der Dinge wartend, die da kommen werden, und vertrieben sich mit Reden die lange Weile. Vielleicht redeten sie da miteinander von dem Unfall oder vielmehr dem „Fall", welcher am Sankt-Johannes-Fest dem Pfarrer von Au passierte. Derselbe ging nämlich in einem Zustand, welcher bei einem Pfarrer unaussprechlich, beim Auer Pfarrer aber sehr - gewöhnlich ist, vom Adlerwirt zur Brugg hinab, doch nicht bis zur Brugg, sondern auf dem Weg stolperte er und fiel in die Ach, wurde jedoch von einem Grenzjäger noch gerettet und kam so mit dem Schrecken und einigen Wunden davon. Auf dem Heimweg griffen Seine Hochwürden in die Tasche und riefen dann, Geld hab ich noch bei mir gehabt, etwa 6 bis 8 Fl., man soll's nur suchen, des Mesners Kinder gingen hin, suchten und fanden neun Gulden. Diese brachten sie dem Pfarrer und er sagte ihnen zum Finderlohn „Vergelt's Gott", und das ist nach unserer Religion das Beste, was man einem sagen kann. Das war damals das Neueste in der Au und vermutlich redeten die beiden Herren auch davon.

 

Ha, endlich! Jetzt war es geraten!/
Nachdem man die Gläser geleert,/
Erschienen die duftenden Braten,/
So wie sie die Herren begehrt./
Die Gläser sind wieder gefüllet,/
Nun wurde der Hunger gestillet.//

Die hungrigen Herren, sie essen,/
Was ihnen die Wirtin noch gab,/
Der schreckliche Boller indessen/
Kommt wieder von Luogo 14° herab.//
Auf einmal nun rufet mit voller/
Und mächtiger Stimme der Boller//:

„Hier hab ich noch Zecher gesehen!/
Und Mitternacht ist nicht mehr weit!!/
Ihr Herren, jetzt könnet ihr gehen!!!/
Es ist die gesetzliche Zeit!!!!"/

Die Herrn sich nicht lange besannen,/
Sie eilten erschrocken von dannen./

O Boller, hast du kein Erbarmen/
Mit Trinkern, so schone doch die,/
Die hungern - bedenke, die Armen,/
Nach zehn Uhr auch hungert es sie/!
Und triffst du alsdann noch Kuraten,/
So denke: Sie essen nur Braten!//

 

Felder

 

Auch von der Geistlichkeit in Schoppernau könnte ich Dir etwas erzählen, doch will ich Dich damit verschonen und kurz sagen: Am 26. April ward vom Stockmayr am Sohn des Schmids gerächt, daß der Vater dem Pfarrer - kein - Blei gegeben hatte, und zwar in der Kirche, so daß es nicht nur ich, sondern die meisten Anwesenden bemerkten. Und nun genug, es wäre schade um das schöne Papier, so etwas darauf zu schreiben.

Auch in Schoppernau ist nun leider die Klauenkrankheit in zwei Ställen ausgebrochen. Dieses veranlaßt mich, Dich und alle, welche Volksstudien machen wollen, jetzt in den Bre­genzerwald zum Besuch einzuladen. Wer die Bauern zur Zeit einer solchen Landplage (Heimsuchung Gottes) noch nicht gesehen und gehört, der kennt sie noch nicht. Ich mache jetzt so meine Beobachtungen und finde leider Stoff mehr als genug. Sonst werden aber jetzt wohl nicht viele imstande sein, ruhig zu beobachten, denn alle Leidenschaften sind los. Der eine begehrt auf, der andere jammert, der dritte ver­spricht eine Wallfahrt, der vierte betet, die Armen schimpfen über die Reichen, welche die Krankheit hergebracht hätten, und die, welche krankes Vieh haben, wünschen: Wenn es nur die andern auch hätten wie wir. Sie wünschen das nicht aus Schadenfreude, aber man plagt sie, daß es oft ein Elend ist. Ja, da sollte Oppermann kommen und seine Glaubens­genossen, die würden Augen machen; ja selbst Du würdest Dich verwundern.

Deine Brüder haben das gekaufte Vieh auf Krumbach, das übrige daheim. Die Krankheit haben sie noch nicht, aber ­jok war heut bei mir und sagte, daheim sei ihm die Zeit so lang, daß er heut nichts zu tun gewußt habe, als zu mir herauf zu gehen. Er läßt Dich grüßen und Dir sagen: Er habe auch schon Kummer und lange Weile gehabt, aber so wie jetzt noch nie.

Herr Leitner und Beosis Büntel sind endlich ein Paar ge­worden, und das Lisile hatte einmal Gelegenheit, öffentlich zu zeigen, wie es ein hoffärtiger Zipfel sei und das hat es auch getan, ich sollte dem Paar ein Hochzeitsgedicht machen, bedankte mich jedoch für diese Ehre. Bei dieser Gelegenheit überzeugte ich mich auch zu meinem Schaden, daß der Doktor ein ärgerer Plauderer ist als das ärgste Waschweib. Ich habe ihm nie viel getraut, aber für so einen habe ich ihn doch nicht gehalten. Nun, man wird alle Jahre gescheiter. - ?

Am Sonntag gab Leitner in Bezau ein Festschießen und am Montag nach der Trauung mußte er nach München ab. ­Auch der Kronenwirt von hier und seine Schwägerin, das Margrethle, sind nach Wien gereist, um die Herrn Brüder und Schwäger zu besuchen und Geld zu holen. Ganz Schop­pernau ist froh, daß sie endlich fort sind, denn das war ein um Rat fragen beim Pfarrer und Doktor und allem, ein Rüsten und Machen, [als] ob Franklin von neuem über den Nordpol fahren wolle.

Vielleicht hast Du Zeit und Lust, dem Überbringer dieses auch ein paar Zeilen mitzugeben, damit ich das Wort nicht ganz allein habe. Tust Du es, so teile mir mit, was Du beim Lesen meines letzten vom 13. bis 16. d. M. gedacht habest und wie Dir beiliegendes Gedicht, das ich, ohne vorher daran zu denken, aus dem Stegreif gemacht habe, [gefällt]. Sei so gut und schicke mir auch den Bestellzettel zum Liebig, wenn Du ihn mich bestellen lassen willst, da ich auswendig weder den Namen der Buchhandlung, noch den gehörigen Titel des Werkes weiß.

Ich und die Meinen sind gesund und wohl, auch die Deinen, nur daß Jok, wie gesagt, Kummer hat. Ja wenn so einem Bäuerlein alles nach Wunsch ginge!

In zehn Tagen ziehe ich vermutlich wieder in mein geliebtes Jamal (Hopfreben), auch heut vormittag war ich dort, es ist alles noch schön, aber so still, so traulich! Ich schrieb lange, vor der Kapelle sitzend, an meinem Dorf-Freimaurer. Der Stoff häuft sich mehr und mehr, aber den Geistlichen wird der Roman schwerlich gefallen, doch für die ist er auch nicht geschrieben, und doch könnten gerade die am meisten daraus lernen, wenn sie - zum Lernen nicht zu alt wären. Lebe wohl. Auf baldigs Wiedersehen. Ich bin wie immer, so auch am Schluß dieses Briefes, Dein treuer Freund

Franz Michel Felder In den Stallhosen Nr. 6

Keine