FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
50
11. Januar 1862

Geliebter Schwager!

Ich glaube, daß die aufrichtigen Glückwünsche nicht zur Un­zeit kommen, wenn man sie auch nicht gerad am 1. Jänner sauber in Versen geschrieben erhält, und hoffe, daß auch Du meine Ansicht teilest, wie der Rüscher zu sagen pflegte. Nur in dieser Voraussetzung bringe ich Dir heut, erst am 11. Tag des Jahres, meinen herzlichsten Glückwunsch zum neuen Jahr, mögest Du es gesund und froh durchleben, dieses Jahr, das Dir recht viel Samen künftigen Glückes säe und den schon gesäten Dich fröhlich genießen lassen wird, wenn der Himmel dem Wunsch Deines Freunds Gewährung verleiht.

Unser Vorarlberger Himmel weint häufige Tränen über die finanziellen Verhältnisse Österreichs. Aber „bloß Weinen hilft net", und es ist bei uns eine Sündflut in Miniatur entstanden; aber um der 10 Gerechten willen wurden wir gerettet. In Gemeinden, wo nicht mehr 10 Gerechte waren, seit Du und Deine Schwester Nanni ausgewandert sind, nämlich in Au, ist es nicht so gut abgelaufen. Nachdem es zwei Tage ununter­brochen geregnet hatte, hob das Wasser den Schnee vom Boden, und wo dieser nicht ganz flach war, rutschte alles fort, so z. B. in Argenau, wo an mehreren Stellen solche Lawinen entstanden. Wo sie nun ein Haus trafen, türmte sich der Schnee vor demselben bis auf das Dach und riß etwa einen Schöpfen oder so etwas vom Haus hinweg wie beim Fuchs, bei Deinem Firmgötte, wo der Schöpf zur Brugg hinab­rutschte und mit der ihm folgenden Schneemasse die Ach schwellte, bis sie neben der Brücke hinaus gegen den Platz lief, bis es wieder Bahn gebrochen hatte. Gleiches Schicksal mit Muxels Bubens Schöpf hatten:

Argenau: Der Wagenschopf beim alten Muxel. Verolars Brun­nen samt Zubehör. Wisgäbarles Brorstampf. Hüslers Immen­haus.

Im Argenzipfel: Wittwers Garbe und langen Micheles Buben den halben Stall und so weiter, denn das ist noch nicht alles, es sind bloß Beispiele. In Bezau, als am noblem Orte, ist es, wie es der Sache gemäß, noch ärger gewesen, dort hat es zwei bis drei Schuh dicke Tannen samt der Wurzel mit bis zur Kirche geführt, in Bizau saß ein altes Weiblein bei seiner einzigen Kuh im Stall, weil sie eben kalben sollte, als nun die Stalltür vom Wasser aufgerissen und das Wasser zu ihm in den Stall kam, nahm das Weiblein die Kuh an ein Seil und führte sie - in die Stube und hier brachte sie während Sturm und Wetter ganz bequem das Kalb zur Welt. Diese Berichte sind sicher und Du kannst es erzählen, wo Du willst. In Schrecken hat das Wasser keinen Schaden angerichtet, und der Rudier hatte ein ungetrübtes Hochzeiterleben, denn er heiratete mit der Jüngern Magd, er ließ sich in der Frühe trauen, ging zuerst nach Hause, und dann hatte er beim Sonnenwirt ein kleines Mahl, wobei er in der Stallschlutte erschien. Auch Rüfles Hans Leonhard heiratete mit einer Bizauerin.

Der Schneider Pius ist mit den Kühen vor zehn Tagen gesund und wohl von Krumbach auf Buengart gezogen, wo sich noch jetzt all die Deinen befinden. Den Sattel und Hopfreben hat Jakob noch nicht verkauft, aber an Bekles Toni, Deinen Schwager, und seinen Kompagnon Hans Martins Pius zum Trübenbach auf ein Jahr verpachtet, und zwar sehr teuer, und er kann nun mit Verkaufen die Gelegenheit erwarten, ohne Schaden zu haben.

Der Uhrmacher Seppel in Bordeaux hat mir auf einen warmen und gemütlichen Brief mit einem echt französisch kalten ge­antwortet, und mir auch das Beiliegende geschickt, welches ich Dich zu übersetzen bitte, wenn es der Mühe wert ist und Du Zeit hast, ich wünschte diese Übersetzung, um zu sehen, was ihm so gut gefällt, daß er es mir schickt. Übrigens schreibt er, daß er gesund und wohl sei und jetzt ohne Meister für sich selbst arbeite. Von meinen politischen Ansichten gefällt ihm keine, er sei in Frankreich gescheiter geworden.

„Vive la Republique." !!!

So viel von Seppel. Seinem Vater schreibt er nicht. Einen wärmern Brief hat mir der Jochum aus Wien geschrie­ben, ich hätte fast Lust, ihn Dir zu schicken, und doch hat mich dessen Inhalt gerührt und traurig gemacht, und ich möchte Dir diese Rührung gar gern mitteilen. Mit den ein­fachsten Zügen und ohne zu klagen, entwirft er ein Bild von Entsagen, Mangel und Not, daß es mich fast fror, als ich mir seine Lage vorstellte, er hat nur eine einzige Instruktion wöchentlich zwei Mal und auch die geht ihm am Frühling aus; er hat, wie Du weißt, keinen Vater, seine 60jährige arme Mutter muß ums Essen Magd sein und Knechtdienste tun, er hat kein Stipendium, er hat nichts! - O möchtest nicht auch Du einer der wenigen werden, die ihm Gutes tun. Auch die Isabell S ... a habe ich für ihn angesprochen, und sie hat mir Gelegenheit gegeben, ihre Herzensgüte kennenzulernen, nachdem ich ihr seine Lage schilderte. Dir brauche ich aber die Lage eines solchen dabei so guten, redlichen Menschen nicht zu schildern.

Solltest Du so gut sein, ihm durch eine Gabe seine Lage etwas erleichtern zu wollen, so könntest Du es an mich schicken, aber dann bitte ich Dich, tu es bald, oder wenn Du willst, so schicke ich Dir seine Adresse und dann kannst Du ihm selbst schreiben! - !

Hier in meiner Gemeinde ist wenig Neues vorgefallen, das Dich interessierte. Das Befinden der Willis ist besser, das von Lehrers Johann Jakob schlechter, er wird den Frühling wohl nicht mehr erleben. Die Kronenwirtin ist schwer, aber endlich doch glücklich von einem Gebhard entbunden wor­den, also achte Auflage in klein Oktav. ­Der Schindler Senn und die Hanso Motal sind Brautleute, auch der groß Seflar am Ünschele wird diesen Winter noch hei­raten, er hat das Anwesen des Feurstein an der Halden, ein Haus und zwei Kühwinterungen gut um 5000 fl gekauft. Die heurige Fastnacht scheint sehr still zu werden, das Sticken ist schlecht, und man braucht das Geld zum Spielen - zu der Soldaten nämlich, wenn einmal das vorbei, wird es schon lustiger werden. - Der Moosmann, von dem ich Dir oft er­zählte (er war früher in Ungarn), ist auch aus Preußen gekom­men, er ist noch so sentimental wie früher, und die Wälder sehen ihn und sein Wesen, das sie natürlich nicht verstehen, für eine Art Schauspiel an, und er zählt sehr wenig Freunde, obschon er der beste Mensch von der Welt ist. Ein gerader Gegenfüßler zu ihm ist der Pius Bär in Au, der samt dem Neffen aus Frankreich nach Au gekommen ist, ich habe ihn letzthin gesehen und gehört. Er fragte den neuen Vorsteher, indem er ihm zum „neuen Amt" gratulierte: „Nun Herr Vorsteher wie gehts?" „Schlecht, es hat uns mehr als 300 Gulden Schaden getan, der Wagenschopf, 10 Säcke Bettlaub, 16 Wägen, das Holz und alles ist im Wasser und hin.“

„Ha, sei froh, daß es nit in der Luft ist, denn du hättest dann gar nix mehr und wärst nie vor dem Herunterfallen sicher." Der Vater des Uhrenmachers Felder hat das Räsonieren noch nicht entlernt, und ich hab noch die Ohren davon voll. Es fängt an, zum Sprichwort zu werden. Er räsoniert wie Koarado Bub, doch davon ein ander Mal, denn ich weiß aus Deinen Schach-Lektionen, daß die Bauern sehr wenig Züge machen können, ich möchte daher mit den Bauern wieder zurück, aber eben! Ich kann nicht mehr, darum will ich lieber für jetzt schließen. Ade unterdessen! Ich lege jetzt die alten Zwilchenen No 4 an und geh in den Stall. Morgen ein Mehreres.

13. Jänner

Vorgestern abends, als ich aus dem Stall ging in die Sennhütte und dachte, was ich Dir noch Neues zu schreiben hätte, fiel meine Mutter in den Kehrhals neben der Stubentür, sie hat den linken Arm gebrochen und den linken Fuß so verderbt, daß sie auch jetzt noch nicht gehen kann, sonst befindet sie sich jetzt so wohl, als es in diesen Verhältnissen möglich ist, bisher hat man ihr den Arm noch nicht richten können, da er noch zu geschwollen war. Hiezu eine Beilage.

19. Jänner

Beilage

auf ordinärem Papier

Das Befinden der Mutter ist etwas besser, sie hat ziemlich gut geschlafen, der Doktor wird heut kommen und ihr den Arm vermutlich richten. Das Weiblein putzt und scheuert und ich sitze am Tische, warte auf den Arzt und habe gerade Zeit und Stoff, ein wenig zu plaudern und Dir einen närrischen Einfall von mir zu erzählen:

Du wirst dich vielleicht noch erinnern können, wie ich im Sommer stets nach einem Gegenstande suchte, an den ich eine Schilderung der hiesigen Verhältnisse knüpfen könnte. Aber nichts wollte mir gefallen. Ich habe Auerbachs Werke dieser Art aufmerksam gelesen und sie haben mir sehr gefal­len und den Gedanken in mir erregt: Ob man nicht auch Bre­genzerwälder Dorfgeschichten machen könnte. „Ja, Auerbach schon, aber Du?"

Nun, ich will probieren, dachte ich. Ich erfand nun eine Hand­lung, erfand Charaktere, oder besser, ich zeichnete solche, die ich kannte und zu der Handlung paßten, und arbeite jetzt daran, der Plan ist fertig und zum Teil auch schon ausgeführt.

1. Ich schildere hier drei angehende Bauern, der erste ist der Sohn des berühmten Schwarzhannes, der gegen das Vorurteil kämpft, das auf dem Bettler lastet. Er ist 23 Jahre alt, wo die Handlung beginnt.

2. Der zweite ist ein herabgekommener Handelsmann, der 60 Jahre alt ist, seine Kinder verdienen sich Geld  und kaufen ein Gut.

3. Der dritte ist ein reicher Bauernsohn, der alles schon hat, was die ändern sich erstreben.

Das sind die Hauptcharaktere, die ich durch eine Geschichte in Zusammenhang gebracht habe. So viel ich kenne, ist der Plan ganz gut, ob er mir ein bitzle gelingt, magst Du beurteilen, es ist eine ziemlich schwere Aufgabe für mich, ihn auszuführen, aber ich hab nun einmal Lust und Lieb zum Ding.

Ich bitte Dich, mir zu schreiben, was Du von der Sache haltest, Du würdest z. B. ganz gut sagen können, wie eine Abhand­lung über Petrarca und seine Werke vom Rudler in Au ge­schrieben, ausfallen müßte. Wenn's Dich interessierte, würde ich Dir mit meinem nächsten Brief ein Heft davon schicken, Du mußt mir aber zuerst Deine Meinung darüber sagen, den Oberhausern habe ich die ersten zwei Kapitel vorgelesen und sie haben ihnen gut gefallen. Ich hab das hauptsächlich wegen der Sprache getan, die mir sehr viel Arbeit macht, denn sie sollte das Naive des Sinns behalten, ohne unverständlich zu werden.

Nach dem Urteil der Oberhauser und des Weibleins war nun alles recht gut, aber...

Und nun lebe wohl, ich wünschte sehr, bald eine Antwort von Dir zu haben. Gedenke auch ferner zuweilen

Deines Freundes F. M. Felder

Bekanntmachung.

Wir Unterzeichnete bitten um Verzeihung für unser so zahl­reiches Erscheinen. Unser Schöpfer hat uns hieher geordnet, und damit wir auch etwas zu tun haben, bringt jeder von uns tausend Grüße von Deinen Bekannten und Verwandten.

Schoppernau, am 19. Jänner 1862

Die sämtlichen orthographischen Fehler dieses Briefes.

 

Keine